03.03.2024

Beschriftung auf der Rückseite: 1938-39
 Four Tet – Loved
 Krieg dem Kriege (1924) – Das Antlitz des Krieges – Ernst Friedrich

Auf dem Flohmarkt gewesen, wieder zwei Fotos gefunden, ein Euro für beide. Dieses Bild hat mich sehr berührt, als ich las, was auf der Rückseite steht, eine simple Jahresangabe: »1938-39«.
In Germany before the war.
Dachte ich.

Vielleicht findet jemand in 80, 90 Jahren mal ein ähnliches Bild, auf einem Flohmarkt – falls es sowas dann noch gibt. Mit der Beschriftung: »2024-25«.
Und denkt sich, wie ich:
In Germany before the war.

Wie alt mag die junge Dame auf dem Foto damals gewesen sein? Ich vermute, sie war Mitte, Ende Zwanzig. Wie meine älteste Tochter, jetzt.
Sie hatte ihr ganzes Leben noch vor sich und den aufziehenden Krieg hoffentlich überlebt und danach/währenddessen vielleicht eine Familie gegründet. Möglicherweise ist sie nach der Befreiung von den Thanatos-Nazis im Mai ’45 erleichtert gewesen, ist neu durchgestartet und im Alter von – na, sagen wir –fünfundachtzig Jahren friedlich in die ewigen Jagdgründe hinüber gewandert und konnte auf ein erfülltes Leben und unzählige Enkel und Urenkel in Dankbarkeit zurück blicken.

Vielleicht war sie auch eine Hardcore-Nazi-Braut. Hat Nachbarn, Juden, Abweichler denunziert. Ich weiß es nicht.

Bei solchen Fotos gerate ich stets in Kontemplation.
»Siehe: Ein Mensch!«
Mit Wünschen, Ängsten, Stärken und Schwächen. Wie wir alle. Tief drinnen suchen wir alle grundsätzlich wohl das Gleiche: Ein Zuhause, Umarmungen, Gesehenwerden, Solidarität, Toleranz, Humor, Leichtigkeit. Und wir alle wissen gleichzeitig, was für ein Wimpernschlag im Universum unser individuelles Leben ist. Kaum da, gleich wieder weg (aus kosmischer Perspektive).

Angesichts der immensen und offensichtlichen Fragilität von uns Menschen frage ich mich: Warum bringt man uns dazu, uns gegenseitig zu hassen, uns umzubringen?

Liebe ist und bleibt die Antwort.
Dann stellt sich meine Frage erst gar nicht.

16.12.2023

 

»Der Zweck der Revolution ist die Abschaffung der Angst.«
Theodor W. Adorno in einem Brief an Walter Benjamin vom 18. März 1936

»Der einzige Weg, um mit einer unfreien Welt fertig zu werden, ist so absolut frei zu werden, dass die eigene bloße Existenz zu einem Akt der Rebellion wird.«
Albert Camus

Pat Metheny Group – Travels

13.08.2023

Rolf (life in an nutshell)
Nick Drake – Cello Song

Ein Flohmarktfund, dieses Foto – gut versteckt in einer bunten Kiste, zwischen Porzellan und Hongkong-Tinnef. Es deutet auf ein Leben, bzw. einen Moment davon, technisch fixiert mit Silberbromid. Kalendarisch gar bezeugt. Es geschah.
Dieses Leben, alles Leben, ist so flüchtig, stets ein Tropfen im Ozean. Dennoch immer einmalig. Ich frage mich, was der Kosmos für das offensichtliche Geburtstagskind Rolf anschließend bereit hielt. Ich wünsche ihm nachträglich alles erdenklich Gute.
Ich kam zur Erkenntnis: Es gab hunderte Generationen vor Rolf, hunderte nach ihm (und mir und dir) wird es geben. Wir alle sind Teil eines größeren Epos, dessen letzter Akt noch lange nicht gespielt ist. Und nehmen unsere Existenz – als Trugschluss – viel zu wichtig, quasi als Singularität.
Lasst uns mehr spielen. Wie der kleine Rolf.

19.05.2023

Momente (XII)

 

Vielleicht wurde mir diese Gabe einst aufgenötigt, um zu überleben: andere Menschen lesen zu lernen. Ich weiß es bis heute nicht. Eigentlich ist es auch egal, warum. Lange Zeit nutze ich diese Fähigkeit, um das zu erzwingen, an dem es mir mangelte – hilflos, ungefragt, übergriffig, manipulativ. Das kann ich nicht mehr ändern, retrospektiv. Es tut mir leid.

Aber ich verurteile mich deshalb nicht (mehr), ich sehe und verstehe das einst leidende Kind. Und nun, als reifer Mann, ist es anders und klarer: Diese Gabe, dieser Fluch, dies ist eine Polarität.

Was einst mir galt – und nur mir allein – gilt es zu verschenken. An das ebenso leidende Gegenüber, wenn gefragt und immer nur als Angebot. Aber stets aus Liebe. Und dem Wunsch nach Begegnung. Und Heilung.

PS: Alles Gute zum Geburtstag, Beate; I owe you so much – and deserve so little.

Leaving Laurel – a love, a loss