18.02.2014

Jede Menge Matchbox-Autos hatte ich, als ich noch Kind war, rote zumeist, einige tatsächlich noch mit allen vier Rädern bestückt. Wenn ich mit den Autos nicht gerade in meinem Kinderzimmer infernalische Kollisionen nachahmte, oder im Vorgarten unterhalb des elterlichen Schlafzimmers putzige Mäuse zwischen den zerkratzen Karosserien zerquetschte, ließ ich die Miniaturen hin und wieder über die Boulevards, Avenuen und Kopfsteinpflastergassen des Wohnzimmerteppichs sausen. Dieser Teppich war ein billiges Perser-Imitat aus einem drittklassigen Möbelhaus in Schonnebeck, die Farben sehr blass und der Rücken halbherzig verklebt. Sein Geruch brachte mich in meiner Vorstellung stets zurück ins Rostock der frühen 70er-Jahre. Die Muster allerdings zeichneten in meiner Phantasie die Straßenführung einer funkelnden urbanen Metropole nach. Dass sie Paris hieß erfuhr ich erst später. Wichtig waren die wiederkehrenden Routen: In den Kreisverkehr rein, zweite raus, die lange Gerade runter, hart abbremsen dann schräg rechts hoch in die Straße mit dem Wendehammer am Ende. Stunden konnte ich damit verbringen, mit wechselnden Matchbox-Autos und wechselnden Motorgeräuschen aus meinem Mund. Leise. Papa schläft. Kommt von Nachtschicht. War ich mal zu laut, kam ich in den Besenschrank. Das war immer noch besser als die Hiebe mit dem Lederriemen. Nur der widerwärtige Geruch der Putzmittel war unschön, deshalb kommt mir Ajax bis heute nicht ins Haus. Warm und ruhig war aber es darin. Und meinen Herzschlag konnte ich hören. Er kam mir stets fremd vor. Ich wusste nie, wie lange ich drin gewesen war, als irgendwann wieder die Tür geöffnet wurde. Ohne Worte.

Irgendwann wurde mir auch das Spielen auf dem Teppich zu langweilig. Alle Möglichkeiten und Optionen waren ausgereizt. Irgendwann wurde ich erwachsen. Gestern habe ich mir im Outdoor-Discounter eine Machete gekauft. Keine echte aus Südamerika, so ein billiges Imitat aus Fernost. Damit bin ich heute durch die Niederungen des Höhenzuges unweit des Hauses gezogen. Die Machete trug ich nicht offen, ich hatte sie unter meiner Wachscotton-Jacke gut verborgen – schließlich sollten die Nachbarn keine Angst kriegen und auch nichts Falsches von mir denken. Einen zuvorkommenden und charmanten Einzelgänger sahen sie in mir. Zunächst wusste ich nicht, warum ich die Machete überhaupt erstanden hatte. Genauso wenig war mir klar, warum ich damit durch das Unterholz streifte, am frühen Morgen. Solche Ungewissheit beunruhigt mich aber nicht. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass am Ende alles seine Ursache – seinen Urgrund, sozusagen – und damit auch seine Berechtigung hat.

Als mir der lahme Feldhase in den Weg trat, wusste ich sofort, was zu tun war. Die trüben Augen nickten mir wohlwollend zu. Mit einem schwungvollen Schlag, so, als hätte ich mein Leben lang nie etwas anderes getan, trennte ich im Bruchteil einer Sekunde den Kopf des Hasen vom Leib. Der Schock durch den Hieb war derart groß, dass das Herz des Tieres augenblicklich aufhörte zu schlagen. Kein Blut besudelte den Boden zwischen den Lärchen, auch die Klinge der Machete war tadellos. Ich begutachtete gerade den ungemein sauber geschliffen Grat der Klinge – ungewöhnlich für so ein billiges China-Ding – als ich aus den Augenwinkeln am Boden eine Bewegung vernahm. Es war der alte Feldhase. Sein Körper zuckte. Nicht wie im Todeskampf, wenn die Nervenbahnen die letzten Milliampere ableiten. Die Bewegungen waren erhaben und stolz. Ganz langsam kam der Rumpf wieder auf die Beine. Ich verharrte still und schaute nur zu. Beobachtete, wie die Vorderpfoten den abgetrennten Kopf ertasteten. Wie das Tier eine ruhige, aufrechte Sitzposition einnahm. Und den Kopf langsam und ganz vorsichtig wieder auf die Schulter setzte. Dies allerdings falsch herum, das Schnäuzchen mümmelte nun über dem Rücken. Ich zog die Stirn offenbar zu sehr in irritierte Falten, was den Hasen dazu brachte, mir rückwärts entgegen zu hoppeln, mit seinen langen Ohren ein “Fuck you!”-Zeichen zu knoten und mir dies dann demonstrativ unter meine Nase zu halten. Ich versetzte dem Tier einen mächtigen Tritt, schließlich gehört sich so was nicht, ich sah ihn als graues Fellbällchen durch die Baumreihen fliegen.
Dann war er fort. Alles still. Nach einem Moment dann dieses laute und ungemein erfreute Lachen! Ganz allmählich wurde es leiser und verschwand schließlich ganz.

Morgen bringe ich die Machete wieder zurück.
Ist ja nichts dran. Wie neu.
Morgen. Vielleicht auch erst übermorgen.

17.02.2014

»Liebe« ist eines jener Worte, die man besser weiträumig umschiffen sollte. Nicht nur wurden in ihrem Namen unvorstellbare Gräuel begangen (und werden es noch) – nein, diese fünf Buchstaben gleichen Schrotkugeln, die beim In-die-Welt-lassen (ausgesprochen, niedergeschrieben) derart weit streuen, dass die Trümmer, die sie dabei hinterlassen, mühsam aus dunkelsten Ecken geklaubt werden müssen, damit aus Bruchstücken bestenfalls vernarbte Prothesen entstehen.

Ich liebe dich.

»Der Satz ist ein Modell der Wirklichkeit, so wie wir sie uns denken.«
– Wittgenstein: Tractatus 4.01
»True character is revealed in the choices a human being makes under pressure – the greater the pressure, the deeper the revelation, the truer the choice to the character’s essential nature.«
– Bob McKee: Story

Poetisch ist das nicht.
Nur wahr.

14.02.2014

Auch Poeten brauchen Pausen. Der Brunnen will und muss gefüllt sein, er darf nie leer laufen – und er ist kurz davor. Ich bin dann mal tanken. Ich atme ein, ich atme aus. Dies soll und muss reichen. Zurück zum Essentiellen – bevor die Fransen mir ein Beinchen stellen.

13.02.2014

Kreise schließen sich zur Black Box.
Früheres ist zukünftig und gestern Morgen schon hier, aber so was von jetzt, sag’ ich dir.
Unzählige Illusionen, wohin ich nicht blicke: Zum Beispiel Adidas Gazelle und die schräge Sonnenbrille.
Betrübte Oculi vor Cortex cerebri lachen Tränen über schlaffem Schwanz.
Ich bin, werde, war, gewesen, dies immer schon wieder gerne.
Kein Grund zur Sorge, alles wird noch gut, sagt er.
Denn die Black Box hat ‘nen Namen:
Die Black Box nennt sich »Poesie«.

12.02.2014

Nennt mich Leeloo Minai Lekatariba-Lamina-Tchai Ekbat De Sebat – oder schlicht: Leelo. Knapp zwei Jahre ist’s her – unwichtig, wie lang genau -, da hatte ich wenig bis gar keine Kraft mehr im Körper, und am Friedhof reizte mich nichts Besonderes, und so dacht ich mir, ich wollt ein wenig ausbrennen und mir den besseren Teil in mir selbst besehen. Das ist so meine Art, mir die Milzsucht zu vertreiben und die Chakren in Schwung zu bringen. Immer wenn ich merke, dass ich um den Mund herum grimmig werde; immer wenn in meiner Seele nasser, niesliger November herrscht; immer wenn ich merke, daß ich durch Konsumtempel hetze und jedem heißen Scheiß hinterherhechel der mir begegnet; und besonders immer dann, wenn meine schwarze Galle so sehr überhandnimmt, daß nur starke moralische Grundsätze mich davon abhalten können, mit Vorsatz auf die Straße zu treten und den Leuten mit Bedacht die Ray Bans vom Hipster-Kopf zu kloppen – dann ist es höchste Zeit für mich, so bald ich kann wieder aufs Lernen zu kommen. Das ist mein Ersatz für Pistole und Kugel.*

* Danke: Herman; Danke: Luc.

11.02.2014

Ein merkwürdiges Gefühl:
Wenn dein Therapeut/Coach/Trainer* sichtlich neidisch auf deine Situation/deinen Weg/deine Haltung** ist – und scheinbare Realität dadurch eklatant dekonstruktiert wird. Das Gefühl changiert zwischen Unglaube, Zweifel, Freude und Angst. Es ist irreal.

* Hier bitte politisch- bzw. narzisstisch-korrekten Begriff einfügen
** Hier bitte Umstand nach Wahl einfügen

10.02.2014

Generell liegen zu viele Adjektive und Adverbien verstreut und halbtot zuckend zwischen den Zeilen. Laut Léon Bloy sind Adverbien ja »Wohltäter des Nichts« (und »Nichts« meint mitnichten »seliges Nirvana«).
Die Lektüre wissenschaftlicher Texte schult den Intellekt, aber auch Finger und Zunge. Man könnte ihren sprachlichen Ausdruck »spröde« nennen oder »kalt«. Aber sie sind faktisch überprüfbar. Wahrhaft. Ehrlich. Müssen ohne Blenderei und Pomp auskommen. Und dennoch überzeugen.

Ich möchte Wittgenstein mit Hesse tanzen lassen.
Der Rotwein steht bereit.