10.04.2014

Es ist nicht lange her, da wollte ich meine Welt, diesen so unzulänglichen, ungerechten, widersprüchlichen und unendlich profanen Ort mit Gedanken und Worten zu einer besseren machen. Nun wird mir mehr und mehr klar, dass unsere Welt sich so nicht verhält, dass Gedanken allein gerade zusammen nicht wirken und das Schönheit dadurch entsteht, dass jeder etwas los lässt, vermeintlich Kontrolle verliert, dem unendlich gütigen Herzschlag des Universums vertraut und gerade dadurch majestätische Kraft gewinnt.

09.04.2014

Fäseke las die E-Mail nun zum vierten Mal und schüttelte deutlich ungläubig, aber doch irgendwie froh, seinen Kopf, in dem es munter brummte. »Wie ist das möglich? Dass ich mir etwas ganz fest wünsche – und es dann auch eintrifft?«
Er hatte gerade letzte Hand an den Indoor-Golf-Parcours gelegt und blickte kurz zu ihm auf. »Gerade deshalb, du oller Agnostiker«, murmelte Paul LeChien, zog fingerlose Handschuhe über und den Gap Wedge fachmännisch aus dem Köcher.

08.04.2014

Ein Sturm ist aufgekommen am Ende der Nacht, düstere Wolken durchschreiten isländisch den Himmel über dem Tal, sämtliche Schleusen sind offen für den Boden, der nach Erlösung lechzt, der Wind peitscht die Kirsche brutal von allen Seiten, beugt sie und lässt murmelgroße Tropfen auf die Blüten eintrommeln.
Sie lachen nur, fürchten sich nicht, freuen sich, dass der Staub aus ihren Kleidern gewaschen wird und die Amseln singen fröhliche Shanties für den Badetag – ein weiteres Stückchen bezaubernder Gegenwart, das ist es, das ist alles.

07.04.2014

»Phasenverschiebung« nennt man das in der Physik, wenn bei überlagernden Schwingungen die Nulldurchgänge nicht identisch sind. In Form von Tönen ist dies als rhythmische Schwebung wahrzunehmen, die bisweilen traumartig klingt.
Spannender ist der Prozess, die Schwingungen so lange gegeneinander zu schieben, bis sich ihre Wellen und Durchgänge exakt überlagern. Was man dabei hört ist das lebendige Atmen des Kosmos.

06.04.2014

Nur ein nächtlicher Ausflug in die Vergangenheit, eine jener somnambulen Regressionen, denen wir alle uns so gerne hingeben, beizeiten. Was sonst zuckrig überzeichnet war von Nostalgie, Sehnsucht und süßem Verlust, wurde überstrahlt von nüchternem Neon. Für das, was dann noch in den Resten rauchte, brauchte es keinen Müllsack mehr, es reichte eine Butterbrottüte, um die tote Asche zu entsorgen.

05.04.2014

In den Armen einen weißen Yorkshire mit Haarschleife, auf dem Rücken einen schrillen Kinderrucksack, im Gesicht nichts als Schmerz und Spuren der Einsamkeit. »Es tut mir leid, dass ich dich wecken musste«, flüstert sie leise, als sie aus dem Zug steigt und meint den Hund.
Beim Bäcker vergisst sie ihr Wechselgeld. Die Verkäuferin hält die Münzen hoch, doch sie schaut durch alles hindurch, schultert stumm den Rucksack, herzt den Hund, wendet sich ab und verschwindet in der Masse der Menschen in der Passage in der Stadt.
Ich wollte sie noch etwas fragen.
Wenn die Zeit reif ist.
Beim nächsten Mal.

04.04.2014

Der Sonne entgegen, den Laternen davon, durch den warmen Regen, alleine mit mir.
Das »Schön« aus der Ferne, so freundlich und echt, am Abend zuvor, hallt noch heilsam nach.
Den Körper zu riechen, den Pulsschlag zu spüren, das Licht dann zu sehen und zu verstehen:

Stilles Glück ruft laut in die Welt, in jeder Sekunde, für jene, die hören.
Fast schon ist es schmerzhaft, wenn der Vorhang reißt und das Herz sich durchfluten lässt.

Endlich.
Wieder.
Das ist Religion im wahren Sinn: sich rückzuverbinden, mit allem, was ist.
Wenn der Kopf schweigt. Und nichts bleibt, außer:
I am Everybody. And Everybody is Me.

03.04.2014

Obwohl Fäseke sich momentan fühlte, als wären in der Nacht Bataillione frei flottierender Braunkohlebagger über ihn hinweg gerollt, war er dennoch in der Lage, über seine Lage nachzudenken: »Komisch, dass gerade in dem Moment, wo man so richtig Gas geben will, der olle Körper die Handbremse anzieht!«, echauffierte er sich.
Paul LeChien lümmelte auf einer schicken original 70er-Jahre-Bastmatte, die er kostengünstig in der lokalen FDP-Kleiderkammer erstanden hatte und nordete seinen Po im rechten Winkel aus, genau so, wie es ihm der weise Herr Prunus stets empfohlen hatte, damit die Sonnenstrahlen auch wirklich überall bei ihm ran kämen. »Der olle Körper weiß halt am besten, was richtig ist. Heißt ja nicht umsonst: “Auf den Bauch hören”. Da fällt mir ein: Was kochst du uns gleich denn Leckeres?« Dabei schnalzte er so laut mit der Zunge, dass Herr Prunus sich schütteln musste vor lauter Entzücken.

02.04.2014

01. INNEN. AUDIMAX – TAG

BLICK VOM DOZENTENPULT IN DIE OBEREN REIHEN

Der Audimax einer Universität – menschenleer.
Verlassene Plätze, wohin man blickt.

Ein leises KNARZEN ist zu hören: Die obere Hörsaal-Tür öffnet sich ganz langsam und die JUNGE FRAU betritt den Raum. Sie ist hübsch, auf eine ganz natürliche Art, absolut ungekünstelt. Ihre ganze Erscheinung ist mädchenhaft, dennoch auch irgendwie energisch.

Ganz vorsichtig, als wolle sie niemanden stören, zieht sie die Tür hinter sich zu.

SUBJEKTIVE DER JUNGEN FRAU:
Blick nach unten in den gähnend leeren Hörsaal.

Die JUNGE FRAU zögert einen Moment, schaut schnell auf ihre billige Plastikarmbanduhr, quittiert dies mit einem Schulterzucken: »Tja, die Zeit stimmt auf jeden Fall«, scheint sie zu denken.

Ohne Eile geht sie zum Treppenabgang, bleibt stehen und überlegt, wo sie Platz nehmen soll – immerhin hat sie heute die ganz große Auswahl. Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht. Schnurstracks steuert sie die vierte Reihe von oben an, schreitet sie ab, zählt stumm die Plätze nach links und die Plätze nach rechts – und, als sie sicher ist, genau die Mitte gefunden zu haben, legt sie ihren verschlissenen Rucksack ab, zieht ihre Jeans-Jacke aus, klappt den Sitz runter und setzt sich hin, mit einem Seufzer der Zufriedenheit.

Prüfend blickt sie sich noch ein mal um – ja, sie ist tatsächlich ganz allein in diesem großen Raum. Sie überlegt, was sie machen soll. Dann fischt sie einen Apfel aus ihrem Rucksack, wischt ihn am Ärmel ihres Sweat-Shirts ab und beißt genüsslich hinein. Doch statt eines satten Schmatzens HÖRT man ein extrem LAUTES QUIETSCHEN.

Das Geräusch kommt von der Eingangstür unten links neben der Tafel. Der JUNGE MANN betritt energisch, perfekt gegelt und vor Selbstbewusstsein strotzend den Hörsaal. Er trägt offensiv exklusiven Marken-Zwirn: Ralph-Lauren-Jacke, Polo-Shirt von Gant, Timberland-Segelschuhe. Laut lässt er die Tür ins Schloss fallen und schultert seine Zirkeltraining-Tasche.

Leicht irritiert beobachtet die JUNGE FRAU dieses markante Entrée.

Der JUNGE MANN blickt sich im Audimax um. Alles frei. Bis auf eben diesen einen Platz da oben, in der vierten Reihe, in der Mitte.

Ein Lächeln umspielt seinen glattrasierten Mund. Er geht, mit Ziel fest im Blick, die Treppenstufen hoch.

SUBJEKTIVE DER JUNGEN FRAU:
Der JUNGE MANN kommt nach oben, passiert Reihe und Reihe, macht bei Reihe vier eine weihevolle Kunstpause und steuert dann direkt auf die JUNGE FRAU zu.

Ihr Gesichtsausdruck zeigt überdeutlich, dass sie sich unwohl in dieser Situation fühlt. Zu allem Überfluss hat sich der JUNGE MANN inzwischen direkt bis zu dem Platz neben ihr durch gearbeitet.

Ohne »Hallo« zu sagen, und ohne zu fragen, ob der Platz neben ihr überhaupt frei ist, macht er sich breit. Reflexhaft rutscht die JUNGE FRAU ein Stück zur Seite.

Der JUNGE MANN zieht die Jacke aus, klappt den Nachbarsitz herunter, faltet die Jacke ordentlich zusammen und legt sie sorgsam ab. Dann beginnt er, seine Arbeitsuntensilien aus der Ledertasche zu ziehen und sie vor sich auf dem Klapptisch auszubreiten. Es macht alles bewusst langsam, sehr genussvoll und ist dabei stets auf die richtige Wirkung bedacht: er möchte, dass die JUNGE FRAU ihn bewundert.

Zuerst zieht er ein MacBook Air hervor, klappt es schwungvoll auf und drückt lustvoll den Powerbutton, was den Startup-Sound laut im Hörsaal widerschallen lässt.

Die Augenbrauen der JUNGEN FRAU verengen sich ein wenig.

Dann drapiert er sein iPhone akkurat im rechten Winkel links neben dem Laptop. Das Arrangement stimmt, jetzt schnallt er seine Uhr vom rechten Handgelenk und drapiert sie – eine Patek Philippe – rechts neben den schicken Alu-Rechner und zwar so, dass man das Zifferblatt gut ablesen kann.

Mit diversen Seitenblicken hat der JUNGE MANN dabei immer wieder geprüft, ob die JUNGE FRAU auch wirklich alles gesehen hat.

Ja, hat sie: Sie wirkt nur irrtiert – nicht beeindruckt oder gar genervt – von seinem Verhalten.

Er möchte natürlich in Erfahrung bringen, ob all diese Insignien auch für den erhofften Eindruck gesorgt haben. Ganz leicht zieht er seine Augenbrauen hoch und deutet super beiläufig auf die Staffage auf dem Klapptisch vor sich. Er ist nicht auf Neid aus, er möchte Anerkennung.

Die JUNGE FRAU ist empathisch genug, um dies zu spüren. Sie könnte ihn jetzt abkanzeln, sie könnte angewidert lächeln oder gar ohne Worte den Platz wechseln.

Stattdessen beginnt auch sie, ihre Sachen auszupacken: Einen Handy aus Vorkriegstagen, einen College-Block mit Eselsohren.
Dann drappiert sie, ähnlich wie er gerade, ihre billige Plastikuhr akkurat daneben.

Auch sie zieht nun ganz beiläufig ihre Augenbrauen hoch und deutet nicht ganz so beiläufig auf ihr billiges Ensemble: »Na, wie findest du das?«, scheint sie fragen zu wollen.

Nun ist der JUNGE MANN sichtlich irritiert.

Die JUNGE FRAU bemerkt dies und lächelt.

Plötzlich scheint sie eine Eingebung zu haben: Umständlich kramt sie ihr Portemonnaie aus der hinteren Hosentasche, öffnet es und zieht ein Foto heraus.

Ohne, dass wir sehen, was es zeigt, legt sie es neben den College-Block.

Sie blickt dem JUNGEN MANN direkt in die Augen und deutet mit dem Zeigefinger auf das Foto.

Der JUNGE MANN wendet unsicher seinen Blick von ihrem Gesicht, folgt ihrem Finger und schaut neugierig auf das Bild.

Wir sehen, was er sieht:
Das Foto zeigt die JUNGE FRAU, wie sie ein kleines Baby in den Armen hält und ganz liebvoll knuddelt.

Der JUNGE MANN ist plötzlich wie ausgewechselt, er wirkt nun fragil und unsicher.

Mit einem gewinnenden, aufmunternden Lächeln hält die JUNGE FRAU ihm den bereits angebissenen Apfel hin.

Der JUNGE MANN überlegt, was er tun soll.

FIN.

01.04.2014

Dieses Journal führt zu nichts. Ich werde es heute beenden. Außerdem bin ich vergrippt. Und meine Glieder schmerzen. Und der Kopf hohl wie ein Kürbis an Halloween. Und auch sonst so. Und überhaupt. Und tschüss.