Der Job (revisited)

Phlippe Jaccottet musste wohl erst 85 werden, damit ich ihn entdecke. Und nun lächelt auch Konstantin Paustowskij gütig von seiner Wolke; macht mir Mut.

Wenn ich doch etwas gewollt habe in diesem Leben, in dieser Arbeit, dann dies: So wenig wie möglich zu mogeln; weder der Versuchung der Eloquenz nachzugeben noch den Verführungen des Traums oder den Reizen des Ornaments; genausowenig den gebieterischen Vereinfachungen des Intellekts oder dem falschen Glanz der Okkultismen, ganz gleich, welchen Schlages. Zu versuchen, dem, was man fühlt, immer so nahe wie möglich zu bleiben, als gebe es wirklich Wendungen, Rhythmen, Worte, die »wahrer« sind als andere; als gebe es, trotz allem, eine Art von »Wahrheit«, die ein, ich weiß nicht welches, Sinnesorgan in uns genauso aufspüren würde wie die Lüge. Und wenn es diese Art von Wahrheit geben sollte, folgte für uns daraus nicht notwendigerweise eine Art von Hoffnung?

— Philippe Jaccottet (2002), im Vorwort zu: Der Unwissende

In loser Folge werde ich hier weitere Texte von Jaccottet einstreuen. Sie sind es wert. Und noch viel mehr als das.

Wack Wolfskins

Dieser Winter ist endlich mal wieder als ein solcher zu bezeichnen. Leider erfolgen dadurch die obligatorischen Gassi-Gänge mit Paul, dem Hund, mitunter nah an der Schmerzgrenze: Meine Winterjacke – einst günstig erstanden in belgischen Küsten-Gestaden – segnet so langsam das Zeitliche und kann dem klirrenden Frost kaum mehr Widerstand leisten.

Was liegt also näher, als endlich robuste und qualitativ hochwertige Marken-Outdoor-Kluft mit allem Zipp und Zapp zu kaufen? So mit Gore-Tex, Hy-Vent und anverwandtem Schnickschnack – so richtige Drei-Lagen-Panzer, die selbst den Kessel in Stalingrad in einen Frühlingstag verwandelt hätten?

Genau. Auf nach Köln. Da gibt’s ja diesen Globetrotter-Mega-Store. So was hat unser verschnarchter Weiler nicht zu bieten. Hier gibt’s nicht mal einen Bäcker. Nur einen Zigarettenautomaten. Leider ohne Roth Händle.

Wäre ich noch Städter, wäre ich natürlich artgerecht mit einem SUV bei diesem Outdoor-Mekka vorgefahren. Doch ich bin seit fast fünf Jahren Landei und komme mit der Bahn. Das ist C02-neutral – hat aber den großen Nachteil, dass sich diverse Karnevals-Schunkel-Kracher in meinem Gehörgang verfangen haben: Diese Siegener Jecken, die breitbeinig sämtliche Sitzplätze des Regionalzugs okkupieren, sind echt eine Klasse für sich und bieten darüberhinaus Stoff für unzählige weitere Stories. Demnächst sicher mehr.

Egal. Ich brauche eine neue Jacke. Warm soll sie sein. Regen abhalten. Und auch Pauls Gezerre standhalten. Shoppen. In Köln. Samstag nachmittags. Geht halt nicht anders: Die Woche ist geblockt durch einen Job, der zu viel Zeit frisst und zu wenig abwirft.

Ich betrete schließlich den Outdoor-Tempel. Er ist gaskammervoll. Samstag Nachmittag – was habe ich erwartet? Sofort umströmt mich der unwiderstehliche Flair urbaner Konsum-Geilheit. Wohin ich auch blicke: Lauter Menschen, die hoffen, glauben, meinen, einer immer feindlicheren Umwelt nur mit der geeigneten Marken-Bekleidung begegnen zu müssen, um so ihre Schein-Souveränität bewahren zu können.

Sieh an: Vornehmlich sind es Kleinfamilien – Papis und Mamis, erfolgreich im Beruf und endlich auch familiär gesettled dank geplantem und genau terminiertem Kaiserschnitt-Wunschkind Ende Dreißig. Man gönnt sich ja sonst nichts. Mich umschwirren Bionade-Nazis aus dem Belgischen und dem Agnes-Viertel. Kreativ involviert und immer am Puls der Zeit. Die Luft ist regelrecht geschwängert mit political correctness. Wir kaufen ja deutsch. Traditionsware aus hiesiger Produktion („Hey, Jack Wolfskin sitzt im Taunus!“). Dass dieser Rotz in der sogenannten Volksrepublik China gefertigt wird, genau wie das Zeug beim Aldi, tut ja nichts zur Sache. Was zählt, ist die und das richtige Etiquette. Wir sind aufgeklärt. Kaufen Bio. Erziehen unsere Bälger bilingual. Der Wettbewerb, weißt du? Chancen, Zukunft, Elite. Der ganze neoliberale Scheiß.

Neben all dem ach so aufgeklärten Bewußtsein ist die Globetrotter-Luft aber auch von etwas anderem geschwängert: Gediegenem Geschmacksstalinismus. Und Angst. Einer Furcht vor der eigenen Meinung, einer Haltung, welcher auch immer. Jener kalten Angst vor Fehlern. In anderem Zusammenhang nannte man dies: Gleichschaltung. Ikea mit seinem penetranten Geduze hat ja bereits bei der Wohnraumgestaltung gewonnen.

Sie kaufen maßlos überteuerte Outdoor-Kleidung, rufen laut „Hach! Ist die Luft hier gut!“, wenn sie mit ihrem Allrad-Audi die unschuldige Sieg penetrieren, fürchten im selben Moment, dass ihre betüttelten Blagen mit ihren teuren Klamotten in den unhygienischen Matsch stürzen und freuen sich insgeheim bereits auf den fair gehandelten Kräutertee, der sie erwartet, wenn sie frischluftbetankt in ihre ererbte und klimatisierte Eigentumswohnung zurückkehren.

Nach fünf Minuten verlasse ich diesen Outdoor-Tempel. Die Jacke für den Winter werde ich beim örtlichen Raiffeisen-Markt kaufen. Die haben äußert robuste Ware am Start. Die hiesigen Bauern decken sich dort kleidungstechnisch ein. Wenn sie auf ihrem Trecker sitzen, sehen sie nicht so aus, als würden sie frieren – ihre Kinder klettern obendrein in Obstbäume und benötigen dazu keine Grundkenntnisse in Business-Chinesisch. Und statt korrektem Kräutertee ziehen sie sich nach getaner Feldarbeit ein gepflegtes Hachenburger Pils rein. Das ist ein Bier aus garantiert heimischer Produktion, ehrlich bis ins Mark und bar jedes Chichis. Tannenzäpfle gibt’s hier nicht. Gott sei Dank.

Babulski überweihnachtet in Heidiland

© pppspics [http://www.flickr.com/photos/patsch/233686727/in/set-72157594268065417] CC-BY-DEEDZack, wieder ein Jahr weg. Ist schon komisch: Je älter ich werde, desto schneller scheint die Zeit zu rasen. Dieses Phänomen hat nichts mit Einstein zu tun und ist einfach erklärt: Als Zehnjähriger sind fünf Jahre immerhin ein halbes Leben.

Rückblickend werde ich 2009 als Jahr des Hamsterrades in Erinnerung behalten: Es hört so auf, wie es anfing. Mit knackiger Kälte und illustrem Irrsinn an allen Ecken.

Heute mittag geht es ab in die Schweiz – genauer: nach Langenthal, BE. Die Schweizer mögen vielleicht keine Minarette im Dorf, dafür verstehen sie aber besser zu leben als die Deutschen. Man nimmt sich halt Zeit. Und dies ausgiebig. Kein Makel.

Mein Handy bleibt aus. Und auch das Internet wird ohne mich überleben, die paar Tage.

Back on deck Anfang Januar.
2010 werden Zähne gezeigt. So kann es ja nicht weiter gehen!

Bis dahin: Gehabt euch wohl. Und übt euch tapfer in zivilem Ungehorsam.

Healing force – part 4

 
Die Tricks des Glücks.

Bridged by a subtle guitar shimmer, the band takes off again into an outstanding coda that’s quite distinct from, but complementary to, the song. This, when done well, is the single greatest trick in music. And at this moment that Daniel Land And The Modern Painters cease to be „promising“, „a good up-and-coming band“, and join the ranks of the truly great.

 
Manchester Music

Daniel Land & The Modern Painters: Benjamin’s Room (aus: »Love Songs For The Chemical Generation« — feat. Ulrich Schnauss)

Die Dia-Show des Videos ist echt für’n Arsch. Hier geht’s nur um die Musik.
 
 
Daniel Land & The Modern Painters – Benjamin’s Room

Genial sakral

Von Jónsi & Alex schrieb ich bereits. Das Stück »Boy 1904« ist ein schönes Beispiel für die majestätische Wucht ihrer Musik. Arvo Pärt winkt freudig im Hintergrund. Da mag man ja fast schon wieder katholisch werden. Es wird mir ein Geheimnis bleiben, wie die beiden das Album »Riceboy Sleeps« unter den Palmen von Hawaii abmischen konnten. Ich assoziiere alles bei diesen Klangwänden – nur keine sengende Sonne und Hula-Mädchen.
 
 
Jónsi & Alex – Boy 1904 (432 Hz, Solfeggio-Stimmung)

It’s all about beauty

Es gibt so viele stille Momente und scheinbar unscheinbare Dinge, die einen zum Weinen bringen. Vor Glück – wenn man genau hin sieht und das Schöne erkennt.

Besonderer Dank an Chaz Bundick (aka Toro Y Moi). Sein neues Album »Causers of This«, das Ende Februar 2010 auf Carpark Records erscheint, ließ mich sein Blog besuchen. Dort entdeckte ich die beiden Videos – und mit »16: Moments« von William Hoffman auch die Musik von Jónsi & Alex (ihr majestätisches Album »Riceboy Sleeps« ist dringend zu empfehlen).
Was für ein Samstag voller wunderbarer Zufälle …

 
 
Radio Lab – Moments

Wir alle werden sterben

Ein Bekannter von mir führt seit einiger Zeit einen regelrecht missionarischen Feldzug gegen Pseudo-Wissenenschaft, Esoterik, Homöopathie, Mayamumpitz — und zuletzt auch gegen Impfgegner. Vieles, wogegen er ankämpft, hat seine Berechtigung. Es ist schon wahr: Ein Großteil dieser »verblendeten Jünger« sollte im Grunde keine Heilsteine lutschen, sondern sich lieber — und bevor sie von einer Spiritualität faseln, von der sie keinen blassen Schimmer haben — erst mal einer umfassenden Psychotherapie unterziehen. Das hat schon Ken Wilber konstatiert.

Allerdings glaube ich inzwischen, dass sein Eifer etwas übers Ziel hinaus schießt. Das habe ich versucht, ihm bewußt zu machen. Vergeblich. Als Essenz blieb unterm Strich: Dogmatismusvorwurf auf beiden Seiten. Sehr schade.

Gerade habe ich »The Fountain« von Aronofsky im WDR gesehen. So verquast dieser Film auch stellenweise ist — in einem Interview macht Aronofsky eine interessante Aussage, die vielleicht erhellt, worum es mir geht:

In some ways, we saw science as being like a religion, and how you can become dogmatic with it, and you can forget its relationship to the larger world. And for me, that’s reflected in a critique of how in the West, with the power of modern science, we’ve become detached from a major part of our spiritual existence. Because the reality is, no matter how much we fight death and put it in the corner and make believe it doesn’t exist, we all die. And the thing that makes us human is our mortality. But I think we’ve become disconnected from our mortality by hiding the fact that it’s part of our spiritual journey.

 
Darren Aronofsky (Interview im Seedmagazine)

Auch Wissenschaft kann als Religion missbraucht werden. Selbst, wenn sie strengen Regeln und sogenannter Objektivität unterliegt, ist sie auch nur ein weiterer Weg, sich dem Numinosen anzunähern. Vielleicht der momentan beste. Jedoch löst sie nicht alle Fragen. Aber, man kann  sich dran klammern und hoffen, dass man aufs richtige Pferd setzt.

Wie auch immer: Sterben werden wir alle. Das ist auch gut so.
Dann nämlich werden wir (vielleicht) sehen, wer Recht hatte.

Es regnet

© PartieTraumatic [http://www.flickr.com/photos/x_mrswarhol/3577545700] CC-BY-NDTag der Arbeit. Welch ein Hohn! Die Straße schimmerte schwarz. Es regnete.

(So darf eine Geschichten eigentlich nicht anfangen. Der Leser vermutet sofort und völlig zurecht Primaner-Prosa ohne Pepp – und, viel wichtiger noch: ohne jegliches Poppen. Darum geht’s ja stets in diesen pubertären Pennäler-Geschichten – unerfüllte Sehnsucht und (feuchte) Träume, romantisch verrückt und letztlich bloß handbetrieben, Träume, die man so hat mit 17 – die einen irgendwann einholen, wenn man nicht aufpasst, vielleicht in der Zielgeraden zur 50, wenn sowohl das Feld als auch der Porsche bestellt sind. Lassen wir das. Hier ist der Regen tatsächlich von Bedeutung. Weil:)

»Die schweren Tropfen wollen mich verhöhnen«, dachte er, »aus einem Himmel, grau und dumpf, teilnahmslos bis komatös, klatschen sie frech in mein Gesicht«, flossen die Gedanken weiter, »und verwässern mir den Blick auf den unausweichlichen Schritt. Vergeblich! Kein Weg zurück!« Diese für ihn immens wichtige Erkenntnis beendete fürs erste seinen inneren Monolog. Er war obendrein wütend, da der Boden unter seinen Füßen nicht derart erbebte, wie er es sich erhoffte, als er die Tür hinter sich zuschlug. Dieser Tag schien verloren. Er fingerte sich eine Filterlose zwischen die Lippen, riss ein Streichholz an im Schutze der verschlissenen Wildlederjacke – einst günstig auf dem Flohmarkt erstanden, nun als Dauerstatement progressiver Konsumverweigerung getragen, lange vor Naomi Klein – entflammte die Zigarette und inhalierte tief in die Bronchien hinab, die sich sofort ängstlich bei den Händen hielten.

»Ihr habt’s nicht anders verdient, ihr Schweine!«, murmelte er, stoßgebetartig entwich der Rauch seinem Gesicht und es blieb unklar, wen er konkret damit meinte.

(Geduld. Der Regen ist wichtig. Wirklich.)

In der Ferne erschien schemenhaft eine Silhouette. Zunächst wußte er nicht, was sie darstellte, er näherte sich ihr hastigen Schrittes, sein Weg war schließlich noch weit und er war gewillt, dieser Erscheinung keine Beachtung zu schenken – selbst, als er erkennen musste, dass dort ein kleines Mädchen im Regen stand. Fröhliche Zöpfe trug sie, ihr kleines Gesicht strahlte unerhört, sie war vielleicht zehn. So viel drang immerhin zu ihm durch. Er wollte das Gör, das längst ins Bett gehörte, passieren, mit einer seiner Situation entsprechenden Nichtbeachtung – sein Tag war immerhin finster wie der Arsch des Klüttenmanns, jeder macht und trägt sein verdammtes Kreuz, ich kann mich nicht um alles kümmern, »bin ich Jesus?« – als er diese leise Stimme vernahm, kaum hörbar im Rauschen dieser trostlosen Welt.

(Nicht vergessen: Es regnet.)

»Ich wachse. Klasse, oder?«

Er blieb unvermittelt stehen, die Asche seiner Zigarette tropfte zischend in eine Pfütze, er warf entgegen seinem Vorsatz einen Blick auf das Mädchen: Wie Sterntaler stand sie da, den ausgebreiteten Rock in den Händen, ihre Zunge streckte sie weit heraus, um ja keinen der offenbar süßen Tropfen zu verpassen.

»Guck mal, wie ich größer werde.«

Tatsächlich: es war das Kind, das jene Worte sprach. Ihm hingegen fehlten diese jetzt. Völlig perplex starrte er auf das Mädchen, das auf unerklärliche Weise größer und immer größer wurde mit jedem Regentropfen, das sie auffing. Ihm blieb nur Staunen, dieser Anfang von allem. Eine Laterne spendete spärlich Licht, es brach sich hin und wieder in der Gischt des Wassers, das vom Himmel fiel. Ein Regenbogen erschien über ihrem Kopf und er rieb sich verwundert die Augen. Als er sie wieder öffnete, stand eine junge Frau vor ihm, sie war wunderschön, das Licht der Laterne umspielte glitzernd ihr Haar, sie blickte ihm direkt ins Gesicht, mit Augen, tief wie ein Ozean.

»Ich träume«, dachte er, sprach dies leise jedoch aus, ohne es zu merken. Eine warme, weiche Hand legte sich auf seine Wange. Ihre. Sein Zorn verflog wie ein mittelmäßiger Alptraum, den das Erwachen genüßlich vertilgt.

»Wer bist du?«, fragte er vorsichtig
»Finde es heraus. So heisst das Spiel.«

Er zögerte kurz. Und begriff. Die Zigarette segelte sanft durch die Rippen eines Gullis, dann nahm er vorsichtig ihre Hand in seine und die scheinbar gottverlassene Stadt atmete einmal tief durch – sichtlich zufrieden. Der Regen hatte aufgehört, frischer Duft von Lavendel hing in der Luft.

(Sagte ich nicht: Der Regen ist wichtig?)

08:14

Aufmunternd strich die Böe durch ihre Haare, wie ein Scherz aus Kindertagen, die Sonne stand tief in ihrem Rücken, träge vom Tagwerk und sichtlich zufrieden über jener Linde, die vor kurzen noch mit stolzer Brust an Demut gemahnte, inzwischen allerdings nur noch herbstlichen Trotz verströmte, als Ausgleich gewissermaßen, sie lächelte ein letztes Mal, verschmitzt, wie beim ersten Mal, damals, nun aber zum Abschied, er schwieg, bewegte sich nicht, hielt die Luft an, schloss die Augen für einen kurzen Moment, vergaß sich, scheinbar endlos, sah und hörte, beherzt atmete er wieder ein, öffnete die Augen — nur die Linde stand dort, nackt und regelrecht pikiert, er lachte laut und schloß sie zärtlich in seine Arme.

— Kann ich irgendwie helfen? fragte unvermittelt ein Wachscotton umhüllter Wildhüter, der sich unbemerkt mit seinem Jack-Russell aus dem Dickicht genähert haben musste.

— Ja, sagte er ohne sich umzudrehen, legen Sie bitte die Nadel noch einmal auf den Anfang des Stücks, das wäre sehr nett.

Jedes Menschen Pflicht sollte sein, eine Liebesgeschichte zu schaffen, groß, schön, ehrenhaft peinlich, um näherzukommen dem Geheimnis.

 
— Helmut Krausser: Thanatos (1996)
 
 
Aerosol – Midnight Ride Down the Mental Freeway

Lektion in Demut

© Jen Waller [http://www.flickr.com/photos/jenwaller/2777669748] CC-BY-NC-SAFräulein Rottenmeier habe ich erfunden, gar Großes hatte ich mit ihr vor, vermessen half ich der Fiktion auf die Sprünge, verplante gegenwärtig alle Zukunft, schob verschämt und mit pochendem Herzen einen Zettel ihr unter, hoffend, die Handlung voran zu treiben, verstieg mich regelrecht in demiurgischer Allmacht, wähnte mich erlöst beim Erscheinen der manipulierten Koindizenz — doch ich erschrak bloß aufs Heftigste, als Fraulein Rottenmeier einfach ausstieg. Ohne eine Wort.
Ich hätte es wissen müssen.

Wer hat Ihnen das Recht gegeben, mit solchen Dingen wie Liebe zu spielen? Ihr Talent? Davon haben Sie doch nur ein Gramm. Wenn es auch mehr wäre, so wäre das gleichgültig — ein Talent ist geschaffen, um den Menschen Freude zu bereiten, und nicht die Menschen sind geschaffen, damit dieses Talent wuchert wie ein Giftpilz. Ein echter Mensch muss in allem echt sein: in den Versen, im Leben und in den Kleinigkeiten. Sie aber sind kein echter. Auch ihre Verse sind Lug und Trug. Sie haben sich mit ihnen aufgeputzt wie mit einem schönen Anzug, um sich vor den Leuten aufzuspielen. Das ist alles, was Ihnen ein so ein kleines und dummes Mädchen sagen kann. Leben Sie wohl.

— Konstantin Paustowskij: Die Windrose (1947)
 
 
Epic45 – In all the empty houses