Zwischen Esoterik & Psychologie

Heute war er in Köln: Phlippe Djian, Held meiner Jugend. »Verraten und verkauft«, »Rückgrat«, »Pas de deux«, »Matador« — so heissen einige seiner Bücher. Ich verschlang sie damals. Und wollte sie nie zuende lesen, weil ich wusste: Ich werde wieder weinen. Nicht, weil seine Bücher traurig sind. Zum Ende hin entwickeln seine Romane oft ein unbeschreibliches Cresendo, das mir auf den letzten Seiten stets den Atem nahm. Bei so viel Talent, Timing und Tonalität können einem wirklich die Tränen kommen. Freudentränen. Die Lektüre von Djians Büchern war mir Lektion. In vielerlei Hinsicht.

Nun also: Lesung in Köln. Seine Doggy-Bag-Soap will auch in Deutschland an den Mann gebracht werden. Djians Romane habe ich seit zehn Jahren nicht mehr verfolgt. Schon »Heisser Herbst« sagte mir nichts mehr. Andere Autoren fanden mich. Vielleicht ist es eine Frage des Alters. Oder des eigenen Weges. Passiert nun mal. Da ich jedoch sowieso zu dieser Zeit werktäglich am Bahnhof rumhänge, wollte ich mir ein Wiedersehen nach zehn Jahren nicht entgehen lassen.

Er war noch nicht anwesend, als ich die Buchhandlung betrat. Die Plätze jedoch, in der oberen Etage, am Ort der Lesung, waren schon reich bevölkert. Lauter Menschen in meinem Alter. Keine Jugendlichen, keine  Studenten, keine neue Generation der Leserschaft. Ein sattes Publikum, irgendwie. Auf der Suche nach: den Wurzeln? Wer weiss.

Schließlich kam er, gerade mal fünf Minuten zu spät. Sechzig ist er dieses Jahr geworden. Langsam fuhr er die Rolltreppe hoch, sein schütteres Haupthaar: kaschiert durch eine lässige Schiebermütze, die Kleidung: wie ein Germanistik-Student im vierten Semester. Alt ist er geworden. Jung will er bleiben. Shake hands hier und dort, er nimmt auf dem Podium Platz. Flankiert vom Moderator/Übersetzer Stefan Barmann. Dieser eröffnet nuschelnd die Lesung, sondert gelangweilt banales Blabla von sich, seine erste Frage an den Autor goutiert dieser mit einem süffisant-souveränen »Ich verstehe die Frage nicht«.

Erst jetzt bemerkte ich, dass Djian zwischen den Regalreihen »Esoterik« und »Psychologie« drappiert wurde.

Ich verließ diesen unwürdigen Ort — im Wissen: das, was folgt, wird keine Bedeutung mehr haben. Auf dem Weg zum Bahnsteig wendete ich mich jedoch noch einmal um und schaute zurück, nach oben, in die erste Etage der verglasten Buchhandlung. Dort saß er also, der Held der Jugend, mit dem Rücken zu mir. Und versteckte seine Glatze unter einer Mütze und machte gute Miene zu irgendeinem Spiel, das mich nicht mehr interessiert.

Auch Idole haben eine Halbwertszeit. Ich möchte sie lieber in guter Erinnerung behalten.

Meide die Orte, an denen über Bücher gesprochen wird. Höre auf niemanden. Wenn sich jemand über deine Schulter beugt, spring auf und schlag ihm ins Gesicht. Schwing keine Reden über deine Arbeit, es gibt nichts dazu zu sagen. Frag dich nicht, warum und für wen du schreibst, sondern denke, dass jeder deiner Sätze der letzte sein könnte.

— Phlippe Djian: Pas de deux (1994)

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