In einem Satz: Drauf geschissen

Unheimlich heimisch

Als ich die Stätte meiner Jugend besuchte, ziellos durch die Fußgängerzone schweifte, vorbei an glühweingestählten Gestalten, vorbei an Geschäften, die es jetzt nicht mehr gab, meinen Mantel zu geschlagen bis ganz oben wegen der Kälte, da entschied ich mich, dieses Haus aufzusuchen, in dem ich knapp zwei Jahre lebte, eine Zweiraumwohnung, jene letzte Bastion von Heimat in dieser seltsam verschämten Einkaufsstadt, im Zickzack näherte ich mich meinem Ziel, etwas zögerlich, das Viertel, in dem das Haus lag, wirkte ausgestorben, ja, regelrecht unbelebt, es war doch Freitagabend, unwillkürlich fragte ich mich, wer hier überhaupt noch wohnt – die gleichen, wie vor zehn Jahren wahrscheinlich, nur älter und zynischer sind sie geworden, dachte ich und rein äußerlich hatte sich nur wenig verändert – dann stand ich unvermittelt unterhalb dieser vier Fenster, sie waren erleuchtet und glotzten dumpf in die Dunkelheit, auf diesen knorrigen Baum gegenüber, den ich immer so mochte, aus einer Fassade, schick renoviert, mit Stuck und Chinarot gestrichen, völlig anders, wie mir das Haus in Erinnerung war, als mich urplötzlich dieser Drang zum Scheißen überkam, ein Druck der übelsten Sorte, einer, von dem du weißt, du hast keine Chance, du kannst ihn nicht ignorieren, mich ergriff sofort Panik, eine Unruhe aufgrund evidenter Ausweglosigkeit, halbherzig entschied ich mich, den Rückweg zum Wagen zu wagen, am anderen Ende des Stadtzentrums war er geparkt, okay, ich musste es wenigstens versuchen, passierte im Tippelschritt diverse Trinkhallen, Griechenrestaurants und Pilsschänken, deren Ausstrahlung geradewegs stuhlfördernd wirkte, kurz spielte ich mit dem Gedanken, eines dieser Etablissements zu besuchen, um meiner Notdurft nachzukommen, doch ich war schon zu weit gegangen, die Gaststätten boten mir keine wirkliche Chance mehr, mir blieb nur die Flucht nach vorn, wo immer das auch sein sollte, egal, ich war so was von glücklich, unvermittelt diese Transformatorstation am Rande des vergammelten Spielplatzes zu entdecken, zu erkennen: ja, sie bietet, dank der umgebenden Büsche und Bäume, die best geeignete Zuflucht für mein unheiliges Ansinnen, wie ein Kinderschänder huschte ich an den Wipptieren vorbei, entschwand im knirschenden Dickicht – es war unter Null an diesem Abend – schlich hinters Häuschen, blickte nach links zu einem Wohnblock mit synchron blinkender Weihnachtsdeko, nach rechts, auf einen Parkplatz, den nur Autos zum Schlafen benutzten, öffnete hektisch meinen Mantel, hockte mich wie ein kleines Mädchen mit dem Arsch knapp über das Laub, ein fetter Furz entfuhr mir, ich hörte endlich die Scheiße auf das gefrorene Blattwerk klatschen, eine Erleichterung bar jeder Beschreibung, endlich konnte ich wieder unverkrampft durchatmen, obwohl das, was ich absonderte, penetrant nach faulen Eiern stank – es musste raus, es half ja nichts, es tat so gut – doch mein Glück währte nur kurz, mir wurde bewusst, dass ich vergessen hatte, vorher zu überlegen, wie ich meine Rosette reinigen könnte, nach vollbrachter Tat, ein kurzer Schreck durchzuckte mich, es war kein fester Stuhl, er hatte eher die Konsistenz von Kinderkacke, die ich beherzt auf die Erde des nördlichen Stadtzentrums presste, mir wurde heiß und dann wieder kalt, nein, ich wollte alles, nur nicht stundenlang mit den Resten meines Geschäfts in der Hose durch die Gegend laufen, ich grübelte, zermarterte mir fieberhaft das restentleerte Hirn – dann kam mir triumphierend in den Sinn, dass ich stets ein fusselfreies Mikrofaser-Brillenputztuch mit mir rumschleppte – für alle Fälle, nicht wahr, man weiß ja nie – also griff ich entschlossen in meine rechte Hosentasche, fingerte das Tüchlein hervor, was in meiner hockenden Position ein verdammt schwieriges Manöver war, wischte mir, so gut es mit zwanzig Quadratzentimetern Nutzfläche geht, den Arsch ab, zog zögerlich den Slip hoch, dann die Hose, knöpfte schließlich, als wäre rein gar nichts passiert, meinen stilvollen italienischen Wollmantel zu und ging zurück auf die unbelebten Strassen.

Das Brillenputztuch würde ich eh nicht mehr brauchen, kam mir in den Sinn, ich sah eh alles schon klar – sonnenklar.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert