12.04.2014

Es gibt Tage, die sind voll mit Erde, Staub und wohliger Müdigkeit, mit elektrischem Licht am Ende und einem netten Gespräch auf der Bank, in der Dämmerung, mit einem verdienten Schluck Bier, der einfach göttlich schmeckt. Heute ist mal wieder so ein Tag.

11.04.2014

Als ich heute bei Tagesanbruch an der Sieg entlang lief, stand er mir unvermittelt gegenüber: Minimi. Ich hatte ihn lange nicht mehr gesehen. Er sah scheiße aus. Mager, unrasiert, bleich. Wir gingen ein Stück nebeneinander. Ich schwieg. Er schwieg. Es dauerte nicht lang und in einem schier unstoppbaren Schwall aus Worten, Gesten und Blicken ergoß sich sein existentielles Leid direkt vor meine Füße. Ich kannte das bereits. Diesmal jedoch tappte ich nicht in die Falle und konnte dem Drang widerstehen, in sein Lamento einzustimmen. Ich ließ einfach abtropfen. Nicht, dass ich gefühllos war oder hart – ich hörte einfach nur zu. Ohne zu werten. Hörte zu, bis ganz zum Ende. Minimi war irgendwann leer. Er wartete auf Reaktion. Und ich tat genau das, womit er nicht gerechnet hatte, ich umarmte ihn stumm – und objektivierte dann sachlich seine Ängste, Zweifel und Panikpocken. Interessiert hörte er zu, dachte und spürte über meine Worte nach, lächelte sogar – genau zwei Mal!
Als nichts mehr zu sagen war, trennten sich unsere Wege. Ich trabte weiter Richtung Brücke, er nahm die Abkürzung übers Wasser. Seine nackten Füße hinterließen hübsche konzentrische Kreise auf der Oberfläche. Ich freue mich darauf, Minimi mit Herrn Fäseke und Paul LeChien bekannt zu machen.

10.04.2014

Es ist nicht lange her, da wollte ich meine Welt, diesen so unzulänglichen, ungerechten, widersprüchlichen und unendlich profanen Ort mit Gedanken und Worten zu einer besseren machen. Nun wird mir mehr und mehr klar, dass unsere Welt sich so nicht verhält, dass Gedanken allein gerade zusammen nicht wirken und das Schönheit dadurch entsteht, dass jeder etwas los lässt, vermeintlich Kontrolle verliert, dem unendlich gütigen Herzschlag des Universums vertraut und gerade dadurch majestätische Kraft gewinnt.

09.04.2014

Fäseke las die E-Mail nun zum vierten Mal und schüttelte deutlich ungläubig, aber doch irgendwie froh, seinen Kopf, in dem es munter brummte. »Wie ist das möglich? Dass ich mir etwas ganz fest wünsche – und es dann auch eintrifft?«
Er hatte gerade letzte Hand an den Indoor-Golf-Parcours gelegt und blickte kurz zu ihm auf. »Gerade deshalb, du oller Agnostiker«, murmelte Paul LeChien, zog fingerlose Handschuhe über und den Gap Wedge fachmännisch aus dem Köcher.

08.04.2014

Ein Sturm ist aufgekommen am Ende der Nacht, düstere Wolken durchschreiten isländisch den Himmel über dem Tal, sämtliche Schleusen sind offen für den Boden, der nach Erlösung lechzt, der Wind peitscht die Kirsche brutal von allen Seiten, beugt sie und lässt murmelgroße Tropfen auf die Blüten eintrommeln.
Sie lachen nur, fürchten sich nicht, freuen sich, dass der Staub aus ihren Kleidern gewaschen wird und die Amseln singen fröhliche Shanties für den Badetag – ein weiteres Stückchen bezaubernder Gegenwart, das ist es, das ist alles.

07.04.2014

»Phasenverschiebung« nennt man das in der Physik, wenn bei überlagernden Schwingungen die Nulldurchgänge nicht identisch sind. In Form von Tönen ist dies als rhythmische Schwebung wahrzunehmen, die bisweilen traumartig klingt.
Spannender ist der Prozess, die Schwingungen so lange gegeneinander zu schieben, bis sich ihre Wellen und Durchgänge exakt überlagern. Was man dabei hört ist das lebendige Atmen des Kosmos.

06.04.2014

Nur ein nächtlicher Ausflug in die Vergangenheit, eine jener somnambulen Regressionen, denen wir alle uns so gerne hingeben, beizeiten. Was sonst zuckrig überzeichnet war von Nostalgie, Sehnsucht und süßem Verlust, wurde überstrahlt von nüchternem Neon. Für das, was dann noch in den Resten rauchte, brauchte es keinen Müllsack mehr, es reichte eine Butterbrottüte, um die tote Asche zu entsorgen.

05.04.2014

In den Armen einen weißen Yorkshire mit Haarschleife, auf dem Rücken einen schrillen Kinderrucksack, im Gesicht nichts als Schmerz und Spuren der Einsamkeit. »Es tut mir leid, dass ich dich wecken musste«, flüstert sie leise, als sie aus dem Zug steigt und meint den Hund.
Beim Bäcker vergisst sie ihr Wechselgeld. Die Verkäuferin hält die Münzen hoch, doch sie schaut durch alles hindurch, schultert stumm den Rucksack, herzt den Hund, wendet sich ab und verschwindet in der Masse der Menschen in der Passage in der Stadt.
Ich wollte sie noch etwas fragen.
Wenn die Zeit reif ist.
Beim nächsten Mal.

04.04.2014

Der Sonne entgegen, den Laternen davon, durch den warmen Regen, alleine mit mir.
Das »Schön« aus der Ferne, so freundlich und echt, am Abend zuvor, hallt noch heilsam nach.
Den Körper zu riechen, den Pulsschlag zu spüren, das Licht dann zu sehen und zu verstehen:

Stilles Glück ruft laut in die Welt, in jeder Sekunde, für jene, die hören.
Fast schon ist es schmerzhaft, wenn der Vorhang reißt und das Herz sich durchfluten lässt.

Endlich.
Wieder.
Das ist Religion im wahren Sinn: sich rückzuverbinden, mit allem, was ist.
Wenn der Kopf schweigt. Und nichts bleibt, außer:
I am Everybody. And Everybody is Me.

03.04.2014

Obwohl Fäseke sich momentan fühlte, als wären in der Nacht Bataillione frei flottierender Braunkohlebagger über ihn hinweg gerollt, war er dennoch in der Lage, über seine Lage nachzudenken: »Komisch, dass gerade in dem Moment, wo man so richtig Gas geben will, der olle Körper die Handbremse anzieht!«, echauffierte er sich.
Paul LeChien lümmelte auf einer schicken original 70er-Jahre-Bastmatte, die er kostengünstig in der lokalen FDP-Kleiderkammer erstanden hatte und nordete seinen Po im rechten Winkel aus, genau so, wie es ihm der weise Herr Prunus stets empfohlen hatte, damit die Sonnenstrahlen auch wirklich überall bei ihm ran kämen. »Der olle Körper weiß halt am besten, was richtig ist. Heißt ja nicht umsonst: “Auf den Bauch hören”. Da fällt mir ein: Was kochst du uns gleich denn Leckeres?« Dabei schnalzte er so laut mit der Zunge, dass Herr Prunus sich schütteln musste vor lauter Entzücken.