Genial sakral

Von Jónsi & Alex schrieb ich bereits. Das Stück »Boy 1904« ist ein schönes Beispiel für die majestätische Wucht ihrer Musik. Arvo Pärt winkt freudig im Hintergrund. Da mag man ja fast schon wieder katholisch werden. Es wird mir ein Geheimnis bleiben, wie die beiden das Album »Riceboy Sleeps« unter den Palmen von Hawaii abmischen konnten. Ich assoziiere alles bei diesen Klangwänden – nur keine sengende Sonne und Hula-Mädchen.
 
 
Jónsi & Alex – Boy 1904 (432 Hz, Solfeggio-Stimmung)

It’s all about beauty

Es gibt so viele stille Momente und scheinbar unscheinbare Dinge, die einen zum Weinen bringen. Vor Glück – wenn man genau hin sieht und das Schöne erkennt.

Besonderer Dank an Chaz Bundick (aka Toro Y Moi). Sein neues Album »Causers of This«, das Ende Februar 2010 auf Carpark Records erscheint, ließ mich sein Blog besuchen. Dort entdeckte ich die beiden Videos – und mit »16: Moments« von William Hoffman auch die Musik von Jónsi & Alex (ihr majestätisches Album »Riceboy Sleeps« ist dringend zu empfehlen).
Was für ein Samstag voller wunderbarer Zufälle …

 
 
Radio Lab – Moments

Wir alle werden sterben

Ein Bekannter von mir führt seit einiger Zeit einen regelrecht missionarischen Feldzug gegen Pseudo-Wissenenschaft, Esoterik, Homöopathie, Mayamumpitz — und zuletzt auch gegen Impfgegner. Vieles, wogegen er ankämpft, hat seine Berechtigung. Es ist schon wahr: Ein Großteil dieser »verblendeten Jünger« sollte im Grunde keine Heilsteine lutschen, sondern sich lieber — und bevor sie von einer Spiritualität faseln, von der sie keinen blassen Schimmer haben — erst mal einer umfassenden Psychotherapie unterziehen. Das hat schon Ken Wilber konstatiert.

Allerdings glaube ich inzwischen, dass sein Eifer etwas übers Ziel hinaus schießt. Das habe ich versucht, ihm bewußt zu machen. Vergeblich. Als Essenz blieb unterm Strich: Dogmatismusvorwurf auf beiden Seiten. Sehr schade.

Gerade habe ich »The Fountain« von Aronofsky im WDR gesehen. So verquast dieser Film auch stellenweise ist — in einem Interview macht Aronofsky eine interessante Aussage, die vielleicht erhellt, worum es mir geht:

In some ways, we saw science as being like a religion, and how you can become dogmatic with it, and you can forget its relationship to the larger world. And for me, that’s reflected in a critique of how in the West, with the power of modern science, we’ve become detached from a major part of our spiritual existence. Because the reality is, no matter how much we fight death and put it in the corner and make believe it doesn’t exist, we all die. And the thing that makes us human is our mortality. But I think we’ve become disconnected from our mortality by hiding the fact that it’s part of our spiritual journey.

 
Darren Aronofsky (Interview im Seedmagazine)

Auch Wissenschaft kann als Religion missbraucht werden. Selbst, wenn sie strengen Regeln und sogenannter Objektivität unterliegt, ist sie auch nur ein weiterer Weg, sich dem Numinosen anzunähern. Vielleicht der momentan beste. Jedoch löst sie nicht alle Fragen. Aber, man kann  sich dran klammern und hoffen, dass man aufs richtige Pferd setzt.

Wie auch immer: Sterben werden wir alle. Das ist auch gut so.
Dann nämlich werden wir (vielleicht) sehen, wer Recht hatte.

Es regnet

© PartieTraumatic [http://www.flickr.com/photos/x_mrswarhol/3577545700] CC-BY-NDTag der Arbeit. Welch ein Hohn! Die Straße schimmerte schwarz. Es regnete.

(So darf eine Geschichten eigentlich nicht anfangen. Der Leser vermutet sofort und völlig zurecht Primaner-Prosa ohne Pepp – und, viel wichtiger noch: ohne jegliches Poppen. Darum geht’s ja stets in diesen pubertären Pennäler-Geschichten – unerfüllte Sehnsucht und (feuchte) Träume, romantisch verrückt und letztlich bloß handbetrieben, Träume, die man so hat mit 17 – die einen irgendwann einholen, wenn man nicht aufpasst, vielleicht in der Zielgeraden zur 50, wenn sowohl das Feld als auch der Porsche bestellt sind. Lassen wir das. Hier ist der Regen tatsächlich von Bedeutung. Weil:)

»Die schweren Tropfen wollen mich verhöhnen«, dachte er, »aus einem Himmel, grau und dumpf, teilnahmslos bis komatös, klatschen sie frech in mein Gesicht«, flossen die Gedanken weiter, »und verwässern mir den Blick auf den unausweichlichen Schritt. Vergeblich! Kein Weg zurück!« Diese für ihn immens wichtige Erkenntnis beendete fürs erste seinen inneren Monolog. Er war obendrein wütend, da der Boden unter seinen Füßen nicht derart erbebte, wie er es sich erhoffte, als er die Tür hinter sich zuschlug. Dieser Tag schien verloren. Er fingerte sich eine Filterlose zwischen die Lippen, riss ein Streichholz an im Schutze der verschlissenen Wildlederjacke – einst günstig auf dem Flohmarkt erstanden, nun als Dauerstatement progressiver Konsumverweigerung getragen, lange vor Naomi Klein – entflammte die Zigarette und inhalierte tief in die Bronchien hinab, die sich sofort ängstlich bei den Händen hielten.

»Ihr habt’s nicht anders verdient, ihr Schweine!«, murmelte er, stoßgebetartig entwich der Rauch seinem Gesicht und es blieb unklar, wen er konkret damit meinte.

(Geduld. Der Regen ist wichtig. Wirklich.)

In der Ferne erschien schemenhaft eine Silhouette. Zunächst wußte er nicht, was sie darstellte, er näherte sich ihr hastigen Schrittes, sein Weg war schließlich noch weit und er war gewillt, dieser Erscheinung keine Beachtung zu schenken – selbst, als er erkennen musste, dass dort ein kleines Mädchen im Regen stand. Fröhliche Zöpfe trug sie, ihr kleines Gesicht strahlte unerhört, sie war vielleicht zehn. So viel drang immerhin zu ihm durch. Er wollte das Gör, das längst ins Bett gehörte, passieren, mit einer seiner Situation entsprechenden Nichtbeachtung – sein Tag war immerhin finster wie der Arsch des Klüttenmanns, jeder macht und trägt sein verdammtes Kreuz, ich kann mich nicht um alles kümmern, »bin ich Jesus?« – als er diese leise Stimme vernahm, kaum hörbar im Rauschen dieser trostlosen Welt.

(Nicht vergessen: Es regnet.)

»Ich wachse. Klasse, oder?«

Er blieb unvermittelt stehen, die Asche seiner Zigarette tropfte zischend in eine Pfütze, er warf entgegen seinem Vorsatz einen Blick auf das Mädchen: Wie Sterntaler stand sie da, den ausgebreiteten Rock in den Händen, ihre Zunge streckte sie weit heraus, um ja keinen der offenbar süßen Tropfen zu verpassen.

»Guck mal, wie ich größer werde.«

Tatsächlich: es war das Kind, das jene Worte sprach. Ihm hingegen fehlten diese jetzt. Völlig perplex starrte er auf das Mädchen, das auf unerklärliche Weise größer und immer größer wurde mit jedem Regentropfen, das sie auffing. Ihm blieb nur Staunen, dieser Anfang von allem. Eine Laterne spendete spärlich Licht, es brach sich hin und wieder in der Gischt des Wassers, das vom Himmel fiel. Ein Regenbogen erschien über ihrem Kopf und er rieb sich verwundert die Augen. Als er sie wieder öffnete, stand eine junge Frau vor ihm, sie war wunderschön, das Licht der Laterne umspielte glitzernd ihr Haar, sie blickte ihm direkt ins Gesicht, mit Augen, tief wie ein Ozean.

»Ich träume«, dachte er, sprach dies leise jedoch aus, ohne es zu merken. Eine warme, weiche Hand legte sich auf seine Wange. Ihre. Sein Zorn verflog wie ein mittelmäßiger Alptraum, den das Erwachen genüßlich vertilgt.

»Wer bist du?«, fragte er vorsichtig
»Finde es heraus. So heisst das Spiel.«

Er zögerte kurz. Und begriff. Die Zigarette segelte sanft durch die Rippen eines Gullis, dann nahm er vorsichtig ihre Hand in seine und die scheinbar gottverlassene Stadt atmete einmal tief durch – sichtlich zufrieden. Der Regen hatte aufgehört, frischer Duft von Lavendel hing in der Luft.

(Sagte ich nicht: Der Regen ist wichtig?)

08:14

Aufmunternd strich die Böe durch ihre Haare, wie ein Scherz aus Kindertagen, die Sonne stand tief in ihrem Rücken, träge vom Tagwerk und sichtlich zufrieden über jener Linde, die vor kurzen noch mit stolzer Brust an Demut gemahnte, inzwischen allerdings nur noch herbstlichen Trotz verströmte, als Ausgleich gewissermaßen, sie lächelte ein letztes Mal, verschmitzt, wie beim ersten Mal, damals, nun aber zum Abschied, er schwieg, bewegte sich nicht, hielt die Luft an, schloss die Augen für einen kurzen Moment, vergaß sich, scheinbar endlos, sah und hörte, beherzt atmete er wieder ein, öffnete die Augen — nur die Linde stand dort, nackt und regelrecht pikiert, er lachte laut und schloß sie zärtlich in seine Arme.

— Kann ich irgendwie helfen? fragte unvermittelt ein Wachscotton umhüllter Wildhüter, der sich unbemerkt mit seinem Jack-Russell aus dem Dickicht genähert haben musste.

— Ja, sagte er ohne sich umzudrehen, legen Sie bitte die Nadel noch einmal auf den Anfang des Stücks, das wäre sehr nett.

Jedes Menschen Pflicht sollte sein, eine Liebesgeschichte zu schaffen, groß, schön, ehrenhaft peinlich, um näherzukommen dem Geheimnis.

 
— Helmut Krausser: Thanatos (1996)
 
 
Aerosol – Midnight Ride Down the Mental Freeway

Lektion in Demut

© Jen Waller [http://www.flickr.com/photos/jenwaller/2777669748] CC-BY-NC-SAFräulein Rottenmeier habe ich erfunden, gar Großes hatte ich mit ihr vor, vermessen half ich der Fiktion auf die Sprünge, verplante gegenwärtig alle Zukunft, schob verschämt und mit pochendem Herzen einen Zettel ihr unter, hoffend, die Handlung voran zu treiben, verstieg mich regelrecht in demiurgischer Allmacht, wähnte mich erlöst beim Erscheinen der manipulierten Koindizenz — doch ich erschrak bloß aufs Heftigste, als Fraulein Rottenmeier einfach ausstieg. Ohne eine Wort.
Ich hätte es wissen müssen.

Wer hat Ihnen das Recht gegeben, mit solchen Dingen wie Liebe zu spielen? Ihr Talent? Davon haben Sie doch nur ein Gramm. Wenn es auch mehr wäre, so wäre das gleichgültig — ein Talent ist geschaffen, um den Menschen Freude zu bereiten, und nicht die Menschen sind geschaffen, damit dieses Talent wuchert wie ein Giftpilz. Ein echter Mensch muss in allem echt sein: in den Versen, im Leben und in den Kleinigkeiten. Sie aber sind kein echter. Auch ihre Verse sind Lug und Trug. Sie haben sich mit ihnen aufgeputzt wie mit einem schönen Anzug, um sich vor den Leuten aufzuspielen. Das ist alles, was Ihnen ein so ein kleines und dummes Mädchen sagen kann. Leben Sie wohl.

— Konstantin Paustowskij: Die Windrose (1947)
 
 
Epic45 – In all the empty houses

Ein singender Spiegel in der Bahn

© Peter Kreder (http://www.flickr.com/photos/peterkreder/457364993) CC-BY-NC-SALinie 16, Rodenkirchen Richtung Niehl. Ein junger Amerikaner, Jake ist sein Name, spielt in der Bahn Gitarre. Sehr laut und voller Inbrunst. Er singt ein Lied, das vom „Fucking War Business“ handelt. Ausser seiner Musik ist nichts zu hören. Niemand spricht. Keiner ermahnt den Sänger, doch endlich mit dem schrägen Geklampfe aufzuhören. Eine diffuse Befangenheit ist spürbar.
Jake spielt und blickt dabei immer wieder offen in die Runde. Augenscheinlich sucht er ein Gespräch. Keiner gibt ihm diese Chance. Jake lässt eine passable Kadenz erklingen, hält dann inne und lässt seine Augen über die Gesichter der stummen Mitfahrer gleiten. Er grinst, ganz Prince Charming.

— Don’t worry. I don’t want your money. I just play for your hearts.

Er meint es gut. Erntet aber weder Lächeln noch Spott. Nichts.

— I don’t understand you germans. You have money. You have jobs. But you look so bored.

Schweigen in der Bahn.

— Maybe you have fear? Fear of: what? Maybe … death?

Das Schweigen wird lauter.

Jake blickt erneut von Gesicht zu Gesicht. Die Getroffenen schauen verstohlen nach draußen, als gäbe es dort etwas zu sehen – dabei sind die Straßen lange schon in tiefe Dunkelheit getaucht. Ein junges Paar sitzt händchenhaltend nebeneinander. Beide starren auf irgendeinen Punkt in der Ferne, sie versuchen so zu tun, als würden dort gerade die Lottozahlen der nächsten Woche angezeigt. Jake schüttelt den Kopf.

— You don’t talk to each other. Either to me. No smile. You look so bored. Like you were saying: „Please, Lord, give me death!“

Nur noch das Geräusch der rumpelnden Räder ist zu hören. Nach einem Moment greift Jake wieder in die Saiten und improvisiert aus dem Stehgreif ein Lied. Ein Lied über die Deutschen. Dass sie ja so verdammt große Denker hätten. Pause.

— Yeah, maybe you think too much. And enjoy too little.

Die Bahn legt sich am Barbarossaplatz mächtig in die Kurve. Jake deutet nach draußen:

— I don’t believe Adolf Hitler is dead. There are so many Nazis out there.

Etwas unsanft kommt die Bahn an der Haltestelle zum Stehen, Jake trällert unbeirrt weiter sein etwas anderes Deutschlandlied. Ein schnieker Businessman steigt hinzu – es ist recht voll, er ist gezwungen, seine sichtbar teure Aktentasche neben Jakes Gitarrenkoffer zu drappieren. Jake blickt ihn an.

— You have a Mercedes?

Der Businessman stutzt kurz. Er hat.

— Well, I don’t have a Mercedes. Mercedes are shit in ten years. Why? I have a horse. And it doesn’t eat oil.

Die Bahn gleitet quietschend hinab in die Unterwelt.
Am Neumarkt steigt Jake schließlich aus – „in the middle of the city“ wie er alle ironisch wissen lässt. Die Türen schliessen sich, Jake steht reglos auf dem Bahnsteig, hat sich auf seine Gitarre gestützt. Er sieht aus wie Johnny Depp in »Arizona Dream«. Die Bahn fährt an und entschwindet erneut im dunklen Tunnel.

Einige der  Passagiere blicken sich verstohlen an. Sie lächeln vorsichtig. Als täten sie dies zum ersten Mal.

Es braucht offenbar mehr Jakes auf dieser Welt.