Wack Wolfskins

Dieser Winter ist endlich mal wieder als ein solcher zu bezeichnen. Leider erfolgen dadurch die obligatorischen Gassi-Gänge mit Paul, dem Hund, mitunter nah an der Schmerzgrenze: Meine Winterjacke – einst günstig erstanden in belgischen Küsten-Gestaden – segnet so langsam das Zeitliche und kann dem klirrenden Frost kaum mehr Widerstand leisten.

Was liegt also näher, als endlich robuste und qualitativ hochwertige Marken-Outdoor-Kluft mit allem Zipp und Zapp zu kaufen? So mit Gore-Tex, Hy-Vent und anverwandtem Schnickschnack – so richtige Drei-Lagen-Panzer, die selbst den Kessel in Stalingrad in einen Frühlingstag verwandelt hätten?

Genau. Auf nach Köln. Da gibt’s ja diesen Globetrotter-Mega-Store. So was hat unser verschnarchter Weiler nicht zu bieten. Hier gibt’s nicht mal einen Bäcker. Nur einen Zigarettenautomaten. Leider ohne Roth Händle.

Wäre ich noch Städter, wäre ich natürlich artgerecht mit einem SUV bei diesem Outdoor-Mekka vorgefahren. Doch ich bin seit fast fünf Jahren Landei und komme mit der Bahn. Das ist C02-neutral – hat aber den großen Nachteil, dass sich diverse Karnevals-Schunkel-Kracher in meinem Gehörgang verfangen haben: Diese Siegener Jecken, die breitbeinig sämtliche Sitzplätze des Regionalzugs okkupieren, sind echt eine Klasse für sich und bieten darüberhinaus Stoff für unzählige weitere Stories. Demnächst sicher mehr.

Egal. Ich brauche eine neue Jacke. Warm soll sie sein. Regen abhalten. Und auch Pauls Gezerre standhalten. Shoppen. In Köln. Samstag nachmittags. Geht halt nicht anders: Die Woche ist geblockt durch einen Job, der zu viel Zeit frisst und zu wenig abwirft.

Ich betrete schließlich den Outdoor-Tempel. Er ist gaskammervoll. Samstag Nachmittag – was habe ich erwartet? Sofort umströmt mich der unwiderstehliche Flair urbaner Konsum-Geilheit. Wohin ich auch blicke: Lauter Menschen, die hoffen, glauben, meinen, einer immer feindlicheren Umwelt nur mit der geeigneten Marken-Bekleidung begegnen zu müssen, um so ihre Schein-Souveränität bewahren zu können.

Sieh an: Vornehmlich sind es Kleinfamilien – Papis und Mamis, erfolgreich im Beruf und endlich auch familiär gesettled dank geplantem und genau terminiertem Kaiserschnitt-Wunschkind Ende Dreißig. Man gönnt sich ja sonst nichts. Mich umschwirren Bionade-Nazis aus dem Belgischen und dem Agnes-Viertel. Kreativ involviert und immer am Puls der Zeit. Die Luft ist regelrecht geschwängert mit political correctness. Wir kaufen ja deutsch. Traditionsware aus hiesiger Produktion („Hey, Jack Wolfskin sitzt im Taunus!“). Dass dieser Rotz in der sogenannten Volksrepublik China gefertigt wird, genau wie das Zeug beim Aldi, tut ja nichts zur Sache. Was zählt, ist die und das richtige Etiquette. Wir sind aufgeklärt. Kaufen Bio. Erziehen unsere Bälger bilingual. Der Wettbewerb, weißt du? Chancen, Zukunft, Elite. Der ganze neoliberale Scheiß.

Neben all dem ach so aufgeklärten Bewußtsein ist die Globetrotter-Luft aber auch von etwas anderem geschwängert: Gediegenem Geschmacksstalinismus. Und Angst. Einer Furcht vor der eigenen Meinung, einer Haltung, welcher auch immer. Jener kalten Angst vor Fehlern. In anderem Zusammenhang nannte man dies: Gleichschaltung. Ikea mit seinem penetranten Geduze hat ja bereits bei der Wohnraumgestaltung gewonnen.

Sie kaufen maßlos überteuerte Outdoor-Kleidung, rufen laut „Hach! Ist die Luft hier gut!“, wenn sie mit ihrem Allrad-Audi die unschuldige Sieg penetrieren, fürchten im selben Moment, dass ihre betüttelten Blagen mit ihren teuren Klamotten in den unhygienischen Matsch stürzen und freuen sich insgeheim bereits auf den fair gehandelten Kräutertee, der sie erwartet, wenn sie frischluftbetankt in ihre ererbte und klimatisierte Eigentumswohnung zurückkehren.

Nach fünf Minuten verlasse ich diesen Outdoor-Tempel. Die Jacke für den Winter werde ich beim örtlichen Raiffeisen-Markt kaufen. Die haben äußert robuste Ware am Start. Die hiesigen Bauern decken sich dort kleidungstechnisch ein. Wenn sie auf ihrem Trecker sitzen, sehen sie nicht so aus, als würden sie frieren – ihre Kinder klettern obendrein in Obstbäume und benötigen dazu keine Grundkenntnisse in Business-Chinesisch. Und statt korrektem Kräutertee ziehen sie sich nach getaner Feldarbeit ein gepflegtes Hachenburger Pils rein. Das ist ein Bier aus garantiert heimischer Produktion, ehrlich bis ins Mark und bar jedes Chichis. Tannenzäpfle gibt’s hier nicht. Gott sei Dank.

Ein singender Spiegel in der Bahn

© Peter Kreder (http://www.flickr.com/photos/peterkreder/457364993) CC-BY-NC-SALinie 16, Rodenkirchen Richtung Niehl. Ein junger Amerikaner, Jake ist sein Name, spielt in der Bahn Gitarre. Sehr laut und voller Inbrunst. Er singt ein Lied, das vom „Fucking War Business“ handelt. Ausser seiner Musik ist nichts zu hören. Niemand spricht. Keiner ermahnt den Sänger, doch endlich mit dem schrägen Geklampfe aufzuhören. Eine diffuse Befangenheit ist spürbar.
Jake spielt und blickt dabei immer wieder offen in die Runde. Augenscheinlich sucht er ein Gespräch. Keiner gibt ihm diese Chance. Jake lässt eine passable Kadenz erklingen, hält dann inne und lässt seine Augen über die Gesichter der stummen Mitfahrer gleiten. Er grinst, ganz Prince Charming.

— Don’t worry. I don’t want your money. I just play for your hearts.

Er meint es gut. Erntet aber weder Lächeln noch Spott. Nichts.

— I don’t understand you germans. You have money. You have jobs. But you look so bored.

Schweigen in der Bahn.

— Maybe you have fear? Fear of: what? Maybe … death?

Das Schweigen wird lauter.

Jake blickt erneut von Gesicht zu Gesicht. Die Getroffenen schauen verstohlen nach draußen, als gäbe es dort etwas zu sehen – dabei sind die Straßen lange schon in tiefe Dunkelheit getaucht. Ein junges Paar sitzt händchenhaltend nebeneinander. Beide starren auf irgendeinen Punkt in der Ferne, sie versuchen so zu tun, als würden dort gerade die Lottozahlen der nächsten Woche angezeigt. Jake schüttelt den Kopf.

— You don’t talk to each other. Either to me. No smile. You look so bored. Like you were saying: „Please, Lord, give me death!“

Nur noch das Geräusch der rumpelnden Räder ist zu hören. Nach einem Moment greift Jake wieder in die Saiten und improvisiert aus dem Stehgreif ein Lied. Ein Lied über die Deutschen. Dass sie ja so verdammt große Denker hätten. Pause.

— Yeah, maybe you think too much. And enjoy too little.

Die Bahn legt sich am Barbarossaplatz mächtig in die Kurve. Jake deutet nach draußen:

— I don’t believe Adolf Hitler is dead. There are so many Nazis out there.

Etwas unsanft kommt die Bahn an der Haltestelle zum Stehen, Jake trällert unbeirrt weiter sein etwas anderes Deutschlandlied. Ein schnieker Businessman steigt hinzu – es ist recht voll, er ist gezwungen, seine sichtbar teure Aktentasche neben Jakes Gitarrenkoffer zu drappieren. Jake blickt ihn an.

— You have a Mercedes?

Der Businessman stutzt kurz. Er hat.

— Well, I don’t have a Mercedes. Mercedes are shit in ten years. Why? I have a horse. And it doesn’t eat oil.

Die Bahn gleitet quietschend hinab in die Unterwelt.
Am Neumarkt steigt Jake schließlich aus – „in the middle of the city“ wie er alle ironisch wissen lässt. Die Türen schliessen sich, Jake steht reglos auf dem Bahnsteig, hat sich auf seine Gitarre gestützt. Er sieht aus wie Johnny Depp in »Arizona Dream«. Die Bahn fährt an und entschwindet erneut im dunklen Tunnel.

Einige der  Passagiere blicken sich verstohlen an. Sie lächeln vorsichtig. Als täten sie dies zum ersten Mal.

Es braucht offenbar mehr Jakes auf dieser Welt.