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Momente (XV)
Kürzlich – ich bezahlte gerade den Tabak im Späti meiner Wahl – sprach mich von hinten ein Unbekannter an. »Fühlst du dich wohl, hier in Leipzig?« Ich wand mich ihm zu, erkannte einen gepflegten Kerl, zwischen 35 und 40, und antwortete: »Ja. Für mich die beste Stadt, in der ich bisher lebte. Sie machte es mir leicht, anzukommen.«
Gemeinsam gingen wir dann vor die Tür, ich drehte mir eine Kippe und signalisierte ihm: ‚Jung, ich hab Zeit und ein Ohr für dich.‘ Wir kamen ins Gespräch. Er ist Ingenieur (Kfz), hat einen Burn-Out hinter sich, suchte und fand einige Antworten in – wo wohl? – Montenegro. In Leipzig kam er – als indigener Berliner – leider bisher und nach drei Jahren nicht an.
Weiter ging es über Job und wahre Berufung. Ich sagte ihm einiges in Bezug darauf, völlig wertfrei. Er wurde immer weicher und leichter. Ich gab ihm Raum, es ging in diesem Gespräch nur um ihn, nicht um mich.
Nach gut einer halben Stunde (und einer weiteren Zigarette) verabschiedete ich mich von ihm (Anschlusstermin meinerseits).
»Na, siehste – Leipzig ist doch eine Stadt, die’s einem einfach macht, sich zu verbinden, oder?«, war mein Abschiedsgruß.
Er rief mir hinterher, lächelnd: »Ja, wenn man die richtigen Menschen trifft.«
Ich werde ihn vielleicht – nein, eher sicher – wohl nie mehr begegnen.
Für eine halbe Stunde jedoch haben wir uns ‚berührt‘.
Darum geht’s. Am Ende. Wir alle hinterlassen Spuren. Von den meisten wissen und erfahren wir nichts, im Nachgang.
Und das ist gut so.
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Haiku (LVII)
Am Wahnsinn der Welt
nicht verzweifeln; ankämpfen.
Die Welt umarmen!
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Früher® hießen diese Dinger »Telefonzellen«, sie waren außen gelb und innen meist verranzt, man konnte hier lokale Telefonbücher hochklappen und den stinkenden Aschenbecher nutzen, um Kippen oder Kaugummis zu entsorgen – dabei für 20 Pfennig seinen Kumpel oder seine Freundin anrufen und fragen, was geht an diesem Abend.
Dann hießen sie »Hotspots« und waren so etwas wie »öffentliche Fernmündlich-Stelen«, im besten Fall mit einem kleinen Dach, falls Regen, und mit Telefonkarten zu nutzen, nicht mehr mit Blechgeld.
Nach Blechgeld kam Mobilfunk, Nokia, iPhones, WhatsApp. Und diese Kulturtechnik wurde mehr oder minder obsolet. Daher wird die Deutsche Telekom diese Stelen – aka unbenötigte Kulturtechnik – aus dem öffentlichen Stadtraum sukksessive bis 2025 entsorgen; sie werden schlicht nicht mehr gebraucht.
Diesen Boliden einer vergangenen Zeit wollte ich ein kleines Denkmal setzen. Fast alle im Leipziger Raum suchte ich auf und photographierte sie; so viel haben sie gehört, gesehen oder stoisch verschwiegen. Jede von ihnen hat eine Geschichte – als Beichtstuhl, Predigerkanzel oder Schwarzes Brett.
Zuletzt, remember: »Tell her you love her!«
Ein Großteil der Photos ist wahrscheinlich in einer schnuckeligen Theaterkneipe des Leipziger Westens im Herbst öffentlich zu sehen. Vorab digital schon mal hier:
Haiku (LVI)
Nur nichts erwarten.
Offen sein, für das, was ist.
Drei Lächeln ernten!
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Momente (XIV)
Ich saß heute im Park, sortierte digitale Unterlagen für die EkSt 2022 (meine liebe Steuerberaterin bat dringend drum, ich hätte lieber anderes getan, Schnorcheln im Cossi oder so) und erinnerte mich dabei – Musik im Ohr – an das lange Gespräch, dass ich gestern führte.
»Schmerz ist unvermeidlich. Leiden ist was für Idioten.«
– Haruki Murakami
Plötzlich kam mir eine Analogie in den Sinn – was uns Menschen betrifft:
Was, wenn wir, die wir uns als präpotente Singularitäten begreifen – einmalig individuell, etc. – nichts weiter wären, als ein kleiner Teil eines phantastischen Gesamten, eines Biens, den wir mit unserer Binnensicht gar nicht von außen als Ganzes begreifen könnten?
Wenn ich und du und wir alle nichts weiter wären, als Teil eines größeren, unsichtbaren Gebildes?
Zum Beispiel: So eines Menschdingsies, bekannt als Menschheit.
Die Supermarktkassiererin wäre, z.B., eine Zelle im Hirn.
Mein Sachbearbeiter im Finanzamt eine Mitochondrie im Herzmuskel.
Die schöne Blonde im Café: ein Golgi-Apparat im Haar.
Ich ein Dendrit in der Zunge.
(Und der stadtbekannte Säufer eine Synapse in der Leber).
?
Bestünde dann nicht unsere individuelle Aufgabe darin, zu erkennen, was unser Zweck wäre in diesem unsichtbaren Ganzen?
Und diesen vollumfänglich und ohne Frage zu umarmen?
Somit das Leid, dass dieses scheinbare Getrenntsein vom Großen Ganzen erzeugt, zu lindern?
Und uns, gleich einer Biene, demütig unserer jeweils spezifischen Aufgabe zu stellen?
Dazu müssten wir nur herausfinden: Was mach ich hier? Was ist mein Job?
Und diesen dann ohne Brainpain zu erfüllen?
Ich setzte den Kopfhörer ab, stieg aufs Rad und erkannte:
Das haben schon andere vor mir gedacht.
Kann nicht so falsch sein.
Ein frecher Spatz kreuzte meinen Weg, dicht an meinem Gesicht vorbei.
Er nahm mir den letzten Zweifel.
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