Aus gegebenem Anlass: Der Sonne zu

Ja, man kann seine pubertäre Sprachlosigkeit natürlich bis zum getno raus rotzen, dabei obzöne und somit leere Bilder im Takt einer Stalinorgel abfeuern, Sex pro Seite, damit’s hoffentlich einschlägt und natürlich noch Giorgio Agambens Homo Sacer subtil einflechten und selbstverständlich nur so tun, als würde man mit dem als ob bloß kokettieren – dies alles gespeist aus dem Wunsch, die Unmöglichkeit von echten Möglichkeiten zu beklagen und die damit einhergehende Desillusion medienwirksam (und sicher auch selbstbefreiend) zu plakatieren. Dass egomane und sogenannte Kritiker dies immens becirct, ist dabei kalkulierter Kollateralschaden.
Zurück bleibt allerdings weiter nichts als: Dunkelheit.

Man kann dieses Leben aber auch einfach nur leben, es zumindest versuchen – und dabei sein Menschsein beherzt und mit allen noch verbliebenen Zähnen verteidigen, immer wieder aufstehen, wenn es einen in die Knie zwingt, trotzdem tapfer lächeln und anschließend genau davon erzählen. Jedoch leise, unprätentiös aber um so präziser. Vor allem aber: liebevoll.
Die Dunkelheit wird so natürlich auch nicht verscheucht. Zurück bleibt jedoch immer ein Funken, ein kleines, schwaches Licht.
Dafür aber eines mit einem umso nachhaltigeren und sehr sanften Fade-out.

Jörg Fauser wurde 1987 in einem echten Roadkill dahin gerafft, viel zu früh.
Gerade jetzt könnten wir ihn brauchen.

FRÜHLINGS-SZENE

Gegen Mittag ein Rettungswagen
in der Vorortstraße. Zuerst sind
immer die Kinder da. Dann
spähen die Eltern aus den Fenstern,
aus der Bäckerei, dem Blumenladen,
dem Damensalon: auf starren Fratzen
Rouge wie Schußwunden, auf verzerrten Lippen
Worte wie Blutstropfen. Sie wissen nicht

warum, aber wenn es am hellichten Tag
nebenan einen erwischt, bleibt an ihnen
ein Makel hängen, wie eine Spielschuld,
die sie nicht mehr abzahlen können,
und peinlich berührt fragen
sie sich: wird es mich auch
beim Mittagessen treffen? Wird
der Notarzt Kaugummi kauen
und werden die Kinder rufen,
kuck mal – die hat ja
ganz blaue Füße?

Sie sehen dann aus, als habe das Leben
sie nicht recht überzeugt, seine Torte,
seine Blumen, seine Dauerwellen,
seltsam! Dabei wirken die Häuser hier
so selbstbewußt wie die Autos
und der Rasen, so überzeugend
wie die Kinder und der
Rettungswagen, in den jetzt
das Bündel auf die Bahre
geschoben wird. Ein Wermutbruder

taucht plötzlich auf, winkt dem Bündel
mit seinem Flachmann und lacht: Hallo Hein,
hast du noch ein Bett frei? Der Wermutbruder
hat als einziger keine Angst vor dem Tod,
kein Wunder bei seinem Rausch, und sonst
spricht eigentlich nichts für ihn. Aber
er macht sich gut, um das Problem der Leere
zu lösen, das sich auftut, wenn der Rettungswagen
sein Opfer wegfährt, denn so ganz ohne Übergang

läßt es sich ja nicht zurückkehren zur Schlagsahne,
zu Fleurop und zur Trockenhaube, wenn man gerade
den Tod in Aktion gesehen hat –
live, in Farbe, im vierten Programm, gebührenfrei!
Aber da läßt sich dann der Wermutbruder, dieser
Penner, einfach ins Gras fallen, wirft seinen Hut
in die Luft als ob im Frühling das Leben nur
eine Lust und der Tod eine Selbstverständlichkeit
sei, und leert seinen Flachmann vor aller Augen!
Schamlos! Rettet die Kinder vor ihm! Rettet

das Mittagessen! Rettet euch selbst und rettet
den Tod! Und schon ist die Straße wie
ausgestorben, bis auf den Wermutbruder,
der immer noch auf dem Rasen sitzt
und auf seinen Hut wartet.
Wo bleibt denn der Hut?
Der Hut hängt im Baum.
Der Wermutbruder lacht,
umarmt den Baum, angelt sich
den Hut und stolpert stadteinwärts,
der Sonne zu.

9.–11. 3. 1979

— Jörg Fauser: Frühlings-Szene, in: Trotzki, Goethe und das Glück, Alexander Verlag, Berlin 2004

Dank an Alexander Wewerka für die freundliche Genehmigung, Fausers Gedicht hier zu veröffentlichen.

Axolotl Roadkill – Ganz große Pretender-Prosa

Nach Lektüre von Helene Hegemanns maßlos überhypten »Axolotl Roadkill« bleibt – neben all dem Copy-and-Paste-Buzz der letzten Tage um diesen »Roman« – bei mir nicht nur ein schaler Beigeschmack hängen aufgrund 200 unnötig gelesener Seiten und fünfzehn verschwendeter Euro, die ich lieber dem abgemagerten Junkie am Kölner Hauptbahnhof hätte in die Hand drücken sollen –  nein, zu allem Überfluss tritt auch noch ein diffuses Scheissgefühl von innen gegen mein Brustbein: Diese Wut auf mich selbst. Ich hätte es besser wissen müssen. Eigentlich.

Was war passsiert? Am 23. Januar sprang mir ohne Vorwarnung Maxim Billers Rave-Rezension von Axolotl ins Gesicht. Dort las ich folgende Sätze:

Gelöscht. Urheberrecht …

Rohstoff, Irre, Faserland – Wow, das alles in seinem Satz. Okay… Biller hatte mich sofort bei den Eiern. Knapp 10 Tage musste ich warten, bis meine Buchhandlung endlich das Buch liefern konnte („Tut mir leid, aber die Leute kaufen das gerade wie gestört“). Ich schnallte mich an und startete die Lektüre. Auf Seite 12 verzog ich zum ersten Mal genervt die Mundwinkel.

Unter der Dusche prasseln mir in Zeitlupe Tropfen entgegen, die durch den Einfluß der Oberflächenspannung bestrebt sind eine Kugelform zu erlangen.

Okay. Das Mädel ist siebzehn. Sei nicht so hart. Ich übe mich in Verständnis: Hey, es geht ums »Worte finden für: Das.« Aber spätestens ab Seite 119 geht mir dieses manirierte Mitte-Sprech (bzw. diese Pseudo-Literatur) nur noch extremst auf den Sack:

Aus dem sternenübersäten Himmel regnet es heißen Teer, der mir vergegenwärtigt, dass ich auf den untersten Level der Desillusion angekommen bin und sich deswegen keine Chance mehr auf eine heilsame Wendung im Exzess vor mir auftun wird.

Tja, Helenchen, bei meiner Rezeption glaube ich auch an keine positive Wendung mehr. Dem Ganzen wird dann noch die Krone aufgesetzt in Form einer heroisierten (und platt imaginierten) Kinder-vom-Bahnhof-Zoo-Experience, von der ich der Autorin kein einziges Wort glaube:

Ich weiß, es wird nie wieder etwas Geileres in meinem Leben geben als Heroin. Alles, was von nun an passiert, werde ich mit diesem morbiden großbürgerlichen Heroinflug vergleichen, der gerade am Start ist. Ich kapiere nicht mal mehr, dass ihr da seid, ihr seid mir alle so scheißegal, in meinem kompletten Leben wird kein einziger Moment mehr an die Perfektion heranreichen, die gerade vorherrscht.

Phantastisch. Spätestens jetzt habe ich den Papp auf. Dennoch lese ich das Buch zuende. So viel Stil muss sein. Und ich bin froh, als ich es endlich in den Schrank legen kann. Ich habe viel gelesen in meinem Leben. Auch viel Schrott. Selten aber so viel prätentiöses Geschwurbel auf einen Haufen.

Tipp an alle, die meinen, dieses Buch gelesen haben zu müssen, um dem gesellschaftlichen Diskurs folgen zu können: Kauft es nicht. Fallt nicht auf das ungemein geschickte Marketing der selbsternannten Kultur-Avantgarde rein. Ihre Inzest-Maschine zielt auf narzisstische Totgeburten – allerdings mit Spiegel-Bestseller-Status.

Als Fazit bleibt für mich zu konstatieren:

  1. Maxim Biller kann mir von nun an gestohlen bleiben. Er kann ruhig weiterhin beteuern, dass er Helene Hegemann nicht kennt: »Wie geht es ihr? Wer ist sie überhaupt? Keine Ahnung, es interessiert mich nicht. Aber wenn Sie unbedingt etwas über sie wissen wollen – sie soll 17 und Tochter eines berühmten Berliner Intellektuellen sein, und einen Film hat sie auch schon gemacht.« Ich glaube ihm kein Wort.
  2. Obendrein werde ich ihm nie verzeihen, dass er Helmut Kraussers »Fette Welt« (erschien vor Faserland) und Wolfgang Welt nicht als Markstein deutscher Literatur beachtenswert fand – das nur am Rande.
  3. Ich werde zukünftig wieder skeptischer meine Lektüre auswählen – und mehr auf Empfehlungen aus unabhängigen Quellen lauschen.
  4. Ich wünsche Helene Hegemann für die Zukunft viel Glück – dass sie ihren eigenen Weg, ihre eigene Stimme findet und sich den Klauen der Alt-Herren-Schickeria entziehen kann und ihnen als Dankeschön noch gehörig ins Gemächte tritt.
  5. Tipp: Große Literatur speisst sich immer aus eigener Erfahrung bzw. ureigenster Imagination (was manchmal aufs Gleiche hinaus läuft). Second-hand – und so tun, als ob – geht immer immens in die Hose.

Als Beispiel: Jörg Fauser.
Er hat in der Heroin-Hölle Istanbuls vegetiert und fasste (einige) seiner Erfahrungen in folgenden schlichten Sätzen zusammen:

Auf dem Nachtisch lag ein Klumpen Opium. Ringsum schrien die Huren. Auf Sex hatte ich selten Lust. Ich legte mich hin und schlug das Notizbuch auf mit dem Kapitel, an dem ich gerade schrieb. Der Rapidograph war frisch gefüllt. Ein neuer Beschiß, ein neues Bild, ein neues Kapitel. Was hatte Faulkner gesagt? »Ich würde meine Großmutter bestehlen, wenn es mir beim Schreiben helfen würde.« Ich wußte zwar nicht genau, wie er das gemeint hatte (man wußte nie genau, wie diese Leute das gemeint hatten), aber eins stand fest: Ich schrieb.

 
Jörg Fauser, Rohstoff (1984)

Poesie. Magischer Realismus. Genau das ist mit »Echtheit« gemeint, liebe Helene.
Aber, du bist ja noch jung. Ich bin da guter Hoffnung…

So ist das

Du lässt dich hier nicht mehr blicken«, sagte einer, und dann hatten sie mich in der Mangel, pass auf, dass du nicht zu Boden gehst, dachte ich noch, ich hielt die Brille fest und bekam noch einen Tritt in den Magen ab, dann lag ich draußen. Das war also das Pflaster. Es schmeckte nicht schlechter als vieles andere, aber gewöhnen wollte ich mich auch nicht daran. Ich suchte meine Brille, bis ich feststellte, dass ich sie in der Hand hielt. Ich setzte sie auf. Aus der Nähe sah dieses Pflaster interessant aus, es gab sogar einen Riss, der durch den Asphalt lief, und in dem Riss spross ein Grashalm. Wenn das so ist, dachte ich, kannst du auch aufstehen.

 
Jörg Fauser: Rohstoff (1984)