08:14

Aufmunternd strich die Böe durch ihre Haare, wie ein Scherz aus Kindertagen, die Sonne stand tief in ihrem Rücken, träge vom Tagwerk und sichtlich zufrieden über jener Linde, die vor kurzen noch mit stolzer Brust an Demut gemahnte, inzwischen allerdings nur noch herbstlichen Trotz verströmte, als Ausgleich gewissermaßen, sie lächelte ein letztes Mal, verschmitzt, wie beim ersten Mal, damals, nun aber zum Abschied, er schwieg, bewegte sich nicht, hielt die Luft an, schloss die Augen für einen kurzen Moment, vergaß sich, scheinbar endlos, sah und hörte, beherzt atmete er wieder ein, öffnete die Augen — nur die Linde stand dort, nackt und regelrecht pikiert, er lachte laut und schloß sie zärtlich in seine Arme.

— Kann ich irgendwie helfen? fragte unvermittelt ein Wachscotton umhüllter Wildhüter, der sich unbemerkt mit seinem Jack-Russell aus dem Dickicht genähert haben musste.

— Ja, sagte er ohne sich umzudrehen, legen Sie bitte die Nadel noch einmal auf den Anfang des Stücks, das wäre sehr nett.

Jedes Menschen Pflicht sollte sein, eine Liebesgeschichte zu schaffen, groß, schön, ehrenhaft peinlich, um näherzukommen dem Geheimnis.

 
— Helmut Krausser: Thanatos (1996)
 
 
Aerosol – Midnight Ride Down the Mental Freeway

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