17.05.2014

Zweimal habe ich meinen rechten Mittelfinger an der gleichen Stelle gequetscht. Der Nagel war blutunterlaufen, schon ein leichtes Antippen schmerzte, es dauerte einige Wochen, bis er sich aus dem Nagelbett löste und Platz machte für einen neuen, der sich langsam vom Rand heraus bohrte.

Ich war froh über diesen Umstand. Ich hatte Hoffnung, dass das, was sich zögerlich nach außen schob, den Verlust des alten vollständig ersetzen könnte. Es würde alles wieder so sein, wie vorher, dachte ich. Doch der neue Nagel wölbte sich nach einiger Zeit, er machte einen Buckel, so, als wolle er sich verweigern, gleichmäßig und gerade weiter zu wachsen. Nach ein paar Tagen glich mein Finger der Kralle eines Reptils, wie ein Schildkrötenpanzer thronte dieser Wundverschluss über geschundenem Fleisch. Es dauerte nicht lang und der Panzer wurde an den Rändern brüchig. Ohne Kraftaufwand konnte ich ihn vorsichtig vom Fleisch anheben. Wenn ich in die Hosentasche griff oder andere Bewegungen machte, bei der mein Fingernagel irgendwo hängen bleiben konnte, wurde er immer und immer wieder gelockert.

Den Nagel hätte ich nun ohne Probleme entfernen können, mir ging dieses ständige Hängenbleiben und die Ungewissheit, wann diese Verkrüppelung abfallen würde, inzwischen auch gehörig auf die Nerven.
Ich tat es aber nicht – aus Angst: Ich befürchtete, dass dieses Ding, auch wenn es hässlich und unzureichend war, nötig wäre, damit irgendwann der neue und perfekte Nagel nachwachsen konnte.

Gestern habe ich diese Hoffnung aufgegeben, weggeschickt und sterben lassen. In der Nacht, in der ich zunächst keinen Schlaf fand, fand mich plötzlich ein klarer Entschluss: Dieser deformierte und kranke Übergangsnagel muss weg. Mit einer schnellen Bewegung entfernte ich in der Dunkelheit den Panzer und schlief dann ein.

Es war nicht das Erste, woran ich heute morgen dachte, ich dachte an den strahlend sonnigen Tag, der mir durch die Terrassentür aufmunternd entgegen lachte und an den Geschmack des ersten Schlucks Kaffee. Dann fiel mein Blick auf den Finger. Ich verkrampfte sofort, innerlich, ein Stück weit, nicht viel. Wie sah der Finger jetzt wohl aus? Rot und blutig und verletzt und auf Ewigkeit gezeichnet?

Dem war nicht so. Ein ganz zarter, fast schon makelloser Ansatz war im Nagelbett zu erkennen. Ich war mehr als überrascht. Offenbar war der Nagel, den ich in der Nacht entfernte, nichts als Hülle und Schutz für etwas viel Schöneres. Rückblickend macht alles Sinn, es waren nötige Häutungen.

Schaue ich nun auf den Finger, dann sehe ich einen rosa Schwan, der stolz und mutig wächst. Ich werde gut auf ihn aufpassen.

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