Gespräche mir Herrn Prunus (3)
Ein Maibaum-Monolog
Ich habe gehört, dein verstümmelter Arm wurde vollständig amputiert. Ich erinnere mich noch gut, wie es war, damals, schmerzhaft, nicht nur für dich, diesen krummen, aber stolzen Ast bis auf einen Rest, der dazu dienen sollte, dass Charlie darauf sitzen und zum Liebestunnel blicken kann, würde ihr mal danach sein, mit der Motorsäge zu entfernen. Drei Spanngurte und 120 PS eines Traktors nahmen dir krachend jenen Arm, der verschmitzt nach Osten zeigte. Ja, und da bin ich nun – im diesem Osten und dies schon seit nahezu 1001 Nacht. Nicht alle davon waren märchenhaft, das kannst du mir glauben.
Ich vermisse die Art, wie du mit mir sprachst – provokativ, amüsiert, frotzelnd, immer jedoch auf deine untergründige Art und ungemein zärtlich. Die Blätter, die du hinter meine Brille hast segeln lassen, die vermisse ich auch. Ich hätte sie aufbewahren sollen. Jedes einzelne davon.
Behandeln sie dich gut? Sehen und erkennen sie dich überhaupt? Ich befürchte, dass sie dich ganz beseitigen werden. Einfach so. Weil sie können. Du musst verstehen, sie meinen es nicht böse. Sie sprechen nur leider nicht deine Sprache. Aber das kommt noch. Irgendwann sind sie sicher dazu in der Lage. Obwohl: Bei ihm bin ich mir etwas unsicher. Schließlich hat er es bis heute nicht geschafft, seine eigene Stimme richtig wahrzunehmen. Und auf sie zu hören. Vielleicht bist du ja clever und findest einen Weg zu ihm? Das fände ich schön und es würde mich beruhigen.
Was hältst du von Charlie? Sie ist groß geworden, oder? Und schön. Eine süße und schlaue kleine Dame. Erwachsen fast, aber noch Kind genug, mit offenen Augen und einer Neugier, die aus dem Herzen strömt. Sie findet dich bestimmt. Oder hat dich bereits gefunden, auf ihre Weise, die nicht meine sein muss.
Die Abende mit dir sind mir so nah als wäre es gestern. Vieles von dem, was du mir damals versucht hast, zu erklären, begreife ich erst jetzt. Und sicher nicht vollumfänglich. Möglicherweise war’s dein geheimer Plan, weil es so ist und so und nicht anders sein muss. Zwiebelhäute der Erkenntnis.
Hier am Fenster steht übrigens Mick – du weißt schon, diese Kastanie, die ich, als Pflanzenmarkt war, von einem Schutthügel gerettet und anschließend mühsam aufgepäppelt habe. Auf der anderen Seite der Kreuzung und im Freien lebt ein uraltes Mitglied seiner Familie. Mick schaut immer neidisch rüber, will auch mal so groß werden. Ich gebe ihm alle Zeit der Welt dafür. Beziehungsweise, so viel Zeit halt, wie mir auf diesem großartigen Planeten gegeben ist. Danke, dass du mich an diese banale Tatsache immer wieder erinnert hast. Deshalb passe ich auch gut auf mich auf. Besonders, wenn ich über diese unsäglichen Pflastersteine hier in der Stadt balancieren muss, um mir nicht den Hals zu brechen. Mein Weg führt mich dann oft – und sei jetzt bitte nicht traurig oder eifersüchtig – zu einer Frau Prunus. Sie wohnt im Park, um die Ecke, wo sich Affen streiten und Giraffen ihre Hälse recken, und dies macht sie sicher schon seit hundert Jahren. Wie du siehst: kein Grund zur Sorge, sie nimmt mich dir nicht weg. Verdammt groß ist sie, ungefähr drei Mal dein Kaliber, eine Wuchtbrumme. Und sie hat kürzlich erst mit Blüten um sich geschmissen, dass es eine Freude war, besonders für die zahlreichen Kinder, die auf ihr rumkletterten. Diese Dame besitzt obendrein einen Stuhl am Fuße ihres mächtigen Stammes. Da sitze ich oft und warte, dass sie mit mir spricht. Sie ziert sich. Noch. Wahrscheinlich ist sie etwas schüchtern und kann mich nicht recht einschätzen. Egal. Ich spreche einfach mit ihr. Und erzähle oft von uns beiden. Dann lache ich leise in mich hinein, weil es stets so schön ist, was ich ihr berichten kann.
In einem Artikel habe ich kürzlich gelesen, ihr Bäume könnt über irgendeinen Kanal, der uns Menschen fremd ist, oder den wir verloren haben, miteinander reden. So Herr-der-Ringe-mäßig. Wenn dem so ist: Sprich sie doch mal an. Dass sie mir vertrauen kann. Ich bin, obwohl es manchmal nicht so aussieht, ein echt Netter und ganz sanft, zu zart vielleicht. Du kennst mich. Ja, ich habe verstanden, was du mir damals versucht hast, zu erklären. Schneisen der Liebe. Umarmen und so. Bin dabei, keine Sorge. Kleine Schritte. So, wie du es mir geraten hast. Mein Ohr war damals noch ein wenig zu sehr mit Unrat verstopft. Das tut mir leid. Auf der anderen Seite aber auch wieder nicht. Weil. Es. Ist. Halt. So. Jetzt lächelst du. Das ist schön!
Leider muss ich nun schließen. Auf mich wartet die Angst, die spielen gehen möchte. Ich melde mich wieder. Entweder so, hier. Oder ich komm rum. Kein Scheiß. Der Wind steht günstig. Und dann nehme ich dich ganz fest in den Arm, pflege deine Wunde (wenn sie dir schmerzt). Eine gute Flasche Picpoul-de-Pinet bringe ich ebenfalls mit. Auf die alten Tage. Ich vermisse dich, mein Freund. Komm gut in den Mai. Pass auf dich auf. Du wirst noch gebraucht.