»Guck mal, jetzt lächelt er doch!«
Verschmitzt blickt die Mittdreißigerin, die später ein Date mit einem Zwanzigjährigen haben wird (was sie etwas zu laut, weil offensichtlich mit Stolz erfüllt, gerade allen Umstehenden verkündet hat) zu ihrer Freundin, die hinter dem Verkaufstresen steht und mir den heißen Pappbecher reicht.
»Na, er freut sich auf seinen Kaffee«, analysiert diese und nimmt meine Münzen entgegen.
Mir fällt auf, dass ich tatsächlich die ganze Zeit griesgrämig in die Welt geblickt haben muss.
»Ach, ich bin nur müde«, antworte ich unbeholfen und warte darauf, dass die beiden laut losprusten, da ich so schlecht lügen kann.
Monat: März 2014
20.03.2014
Resurrection Day (I)
Saalfeld, Thüringen, 20. März 2013
»Ich konnte das alles nicht annehmen, wahrhaben. Nein, das konnte nicht sein. Durfte nicht sein. Es passte wieder mal nicht in mein Konzept: Ich bin nicht liebenswert, ich besitze keine Empathie, kann demnach nicht lieben, ich bin ein Blender, ein Stück Scheiße – »Why don’t you kill me?«
E. schob mir eine Postkarte unter der Tür durch. Darauf stand: “Tue deinen Mund auf für die Stummen und für die Sache aller, die verlassen sind. (Buch der Sprüche). — Du hast eine große Gabe, dich leidenschaftlich und kraftvoll für etwas einzusetzen, das dir sehr am Herzen liegt.”
Ich war verwirrt. Ich ging spazieren. Ich hörte Stumbleine. Und begann zu weinen. Erst leicht. Dann heftiger. Ich wusste nicht warum. Dann fand ich den Baum, von dem ich schrieb. Und er sagte mir, auch wenn du meinst, ich hätte einen Knall: »Du musst da raus gehen und die Wärme weiterreichen. Du kannst es und musst keine Angst haben. Habe Vertrauen. Du hast alle Gaben und Fähigkeiten, die du dazu benötigst. Du bist liebenswert. Und ich liebe dich.«
Unschwer zu erkennen: die Eiche gab meiner Intuition Gestalt, offenbar brauche ich immer eine gewisse poetische Überhöhung, um Weisheit und Erkenntnis in mein Bewusstsein dringen zu lassen.«
19.03.2014
Es hat geregnet in der Nacht, die Luft ist klar und frisch und ich bin wach, und zwar ganz anders wach als sonst, so vollkommen luzide und ruhig – scheinbar hielt mir irgendetwas, irgendwer (oder vielleicht auch nur der Stand des Mondes) einen Steigbügel hin am Ende der Dunkelheit, um nun friedvoll den Tag zu umarmen, der da nicht mehr lauert, sondern lockt.
18.03.2014
In dem wunderbaren Film »Little Big Man«, in dem der ebenso wunderbare Dustin Hoffman ein über hundertjähriges Bleichgesicht spielt, das sein Leben unter Rothäuten verbrachte und nun seine Erlebnisse Revue passieren lässt, gibt es diese großartige Figur des »Younger Bear«: Regelmäßig legt dieser einen »Backwards Day« ein – da reitet er rückwärts auf dem Pferd, sagt ‘ja’, wenn er ‘nein’ meint und verhält sich auch sonst ganz bewusst gegenteilig.
Diese Figur fand ich schon als Kind, als ich den Film zum ersten Mal sah, absolut faszinierend.
Nun, als reifer Mann, werde ich seinem Beispiel folgen.
17.03.2014
Ich nehme die Herausforderung an, mit einem Lächeln auf den Lippen, während mein Darmgehirn gerade massive Oppositions-Flatulenzen entwickelt. Mal sehen, wer länger durchhält.
16.03.2014
Ein Jahr später: Übergang zu Phase II der Neuprogrammierung. Knapp 2100 km habe ich mich dafür warm gelaufen, gut 2000 Stunden ausgeruht. Mein Wille ist titanisch und birgt eine Kraft, die nicht nur Schuttberge versetzt, sondern Weltbilder, wenn ich es nur zulasse. Die bewusste Selbst-Über-Windung hat das Ego perforiert und durchlässiger gemacht. Der freigelegte Kern ist überraschend liebenswert. Nun gilt es, diesen Rohdiamanten beharrlich zu schleifen, die Willenskraft neu auszurichten und der Welt und sich mit unnachgiebiger Warmherzigkeit zu begegnen – gerade, weil es so schwer fällt.
15.03.2014
Getriebene Blicke in den Abgrund, aufs ewig quengelnde Tamagochi. Panzerradgroße Duroplaste separieren derweil zumindest akustisch verängstigte Ichs von Anderen. Rasender Stillstand in der Komfortzone. Der nächste Zug zurück in die Provinz fällt aus, irgendwo zwischen Ehrenfeld und Süd ist eine Person im Gleis. Mich wundert, dass es nur eine ist. Die Stadt ist schön. Wenn man sie von außen brennen sieht.
14.03.2014
So, der Homo Oeconomicus kann mich für heute, morgen, übermorgen und für alle Tage mal sowas von kreuzweise. Ganze elf Sonnenstunden habe ich diesem Götzen geopfert. Sollte ich jemals oder damals in irgendeiner Schuld stehen oder gestanden haben – ich habe sie getilgt. Mit Zins, Zinseszins und extra Wucherbonus on top.
Jetzt: Leben!
13.03.2014
Fäseke dachte nach. »Ich glaube, wenn man gnädiger mit sich selbst ist, dann ist man vielleicht ja auch gnädiger mit anderen.« Dabei entfernte er ein paar Haare aus dem Sieb im Waschbecken. Paul LeChien beobachtete ihn aufmerksam, in liegender Position, auf dem Diwan. »Streich das ‘vielleicht ja auch’«, murmelte er und schnappte dann mit seinen Zähnen nach einer Fliege. Dies aber nur zum Spaß.
12.03.2014
Morgennebel ist unbemerkt nachts entstanden. Er lichtet sich langsam, ein weiterer strahlend schöner Tag lauert grundlos unten am Flusstal und fragt nicht nach meinen Zweifeln.
Ich sollte ihm folgen. Bedingungslos.