31.03.2014

Bei aller Selbstliebe:

Ich möchte mich so gerne vergessen
Damit die Sicht freier wird
Zwischen dem Selbst
Und dem Du

Es ist töricht,
Wenn Du glaubst,
Antworten irgendwo anders
Zu finden

30.03.2014

Noch lässt der Ginkgo vor meinem Fenster auf sich warten. Die Äpfel um ihn herum laden ihn seit Tagen schon freundlich ein: »Schau’ und fühl’ die Sonne, die Wärme! Komm’, blüh’ mit uns!«
Doch der alte Mann aus dem Osten hat sein ganz eigenes Tempo. Erst dann, wenn man gar nicht mehr damit rechnet, kommt er aus sich raus. Ganz leise, ganz unspektakulär. Das genau ist der Grund, warum ich diesen Baum so unendlich mag: Er ist ein Meister des Timings.

29.03.2014

Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll, alles lockt und buhlt um meine Gunst. Und dann noch dieser gauloisefarbene Himmel: er lädt zu Höhenflügen ein.
Nun, dies an sich ist nichts Besonderes. Bemerkenswert ist nur die Tatsache, dass ich dabei auf dem Boden bleiben muss, wenn ich dem Gras nachher zärtlich seinen ersten Façonschnitt verpasse.

28.03.2014

Im Zug säße ich jetzt, 7:54 – 8:34, ich wäre hinter Siegburg, die Schnattergänse der Kreis- und Finanzverwaltung hätten ihre Plätze frei gemacht für müde Studenten oder hyperaktive Sparkassenfachwirte, die mit mir zusammen werktäglich in die nördlichste Stadt Italiens pendeln. Bekannte Gesichter ohne Namen und Geschichte. Passanten. Wie ich selbst einer bin – besser: war.
Stattdessen sitze ich am Schreibtisch, am offenen Fenster. Ich winke der Nachbarin zu, die sich aufmacht in ihre Pflanzenwelt und am Abend duftend zurück kehrt. Später werde ich mit einem Doppio unter der Magnolie stehen, staunen und einatmen und ausatmen. Ich werde tun, was getan werden darf. Nicht muss.
Es gibt eigentlich nur eins, was ich wirklich muss: mich daran gewöhnen, dass alles jetzt wirklich so ist.

27.03.2014

»Das Wochenende soll schon werden«, verspricht der Wetterbericht. An sich ist das prima. Andererseits vergisst man so leicht dabei, auch und besonders den Regen zu lieben. Das schreibe ich natürlich nur, weil mein Nacken heute extrem verspannt ist.

26.03.2014

Es ist ein schönes Gefühl, diese alte, verbeulte und mintgrüne Blechtasse in den Händen zu halten, die Wärme des Kaffees in die Hände, dann den ganzen Körper strömen zu lassen und dabei den erdigen Geruch ausgequetschter Arabica-Bohnen zu riechen. Noch schöner jedoch ist die Tatsache, dies (und noch viel mehr) vollumfänglich (wieder) als das zu erkennen, was es ist: alles andere als selbstverständlich, ein Geschenk. Und dies genau so und nicht anders zu spüren. Das nennt man wohl »bescheidenes Glück«.

25.03.2014

Fäseke wollte vor dem Schlafen eigentlich lesen, dachte aber nach, weil diese Gedanken gedacht werden mussten: »Wie kann es sein, dass ein Tag, an dem so unendlich viel falsch läuft – der Zug fällt aus und ein wichtiger Termin platzt, ein neuer Schnürsenkel reißt unter leichtestem Zug, ein unachtsamer Passant verschlabbert Kaffee auf meine Schuhe und merkt es nicht mal, und dann wird auch noch die neue Badezimmerlampe defekt geliefert – wie kann es sein, dass so ein Tag am Ende so friedlich und zärtlich endet?«
Paul LeChien räkelte sich am Fußende des Bettes und wies dann einem Floh, der vor sich hin flötend so tat, als wäre er gar nicht da, den Weg in die Freiheit. »Weil du es endlich einmal zugelassen hast, nur darum«, murmelte Paul und genoss dabei sichtlich den Lavendel-Geruch, der von der frischen Bettwäsche aufstieg.

24.03.2014

So vieles, was ich nun über das Leben weiß, wie es grundsätzlich funktioniert (und wie auch ich funktioniere), welche Widerstände immer wieder erscheinen, wie sie zu überwinden sind, warum Ausdauer lohnt und Jammern nicht, wozu Grenzen da sind, dass sie nur im Kopf existieren und mühelos verschoben werden können –– all das habe ich vom Laufen gelernt.
Ich habe keine Ahnung, wer oder was mich vor gut 3 Jahren dazu brachte, regelmäßig die Joggingschuhe aus dem Regal zu ziehen. Mir bleibt nur ein Wort: Danke.

23.03.2014

Ich streife gerne durch die Felder und Wälder hier bei uns, knapp vier Stunden waren es heute, begleitet wurde ich seit langer Zeit mal wieder von Paul LeChien. Menschen begegneten uns in dieser Zeit exakt drei, wobei zwei davon hoch zu Ross Richtung Hohes Wäldchen stolzierten und uns in die Rolle des Publikums bugsierten, in die wie ihrer Meinung nach anscheinend gehörten.
Ansonsten gab es keine sozialen Begegnungen, ich konnte mit mir, meinen wenigen Gedanken und den zahllosen Grün- und Buntspechten einen entspannten Nachmittag verbringen. Herr LeChien ist von seiner Art ja auch extrem schweigsam und störte meine Kontemplation demnach nicht im Geringsten.
Wenn ich dann so die ruhigen Forstwege und Steige entlang wandere, allein aber nicht einsam, dann stelle ich mir oft vor, dass ich in ein Zeitloch gefallen bin und mich unvermittelt in der Vergangenheit, vielleicht im Jahre 1870, in dieser Landschaft wieder finde:
Die Sonne ist noch nicht ganz aufgegangen. Ich bin auf dem Weg von Ruppichteroth nach Weyerbusch. Ich habe eine schwere Kiepe auf dem Rücken, mit Kartoffeln und Rüben aus meinem Garten, ich muss das Zeug verkaufen, auf dem Markt in Weyerbusch, ich brauche Geld, die Jüngste ist krank und die Medizin teuer. Einfache und knüppelharte Lederstiefel, die schon so alt sind, dass ich gar nicht mehr weiß, wie lange ich sie schon besitze, trage ich an den Füßen. Ich möchte nur ankommen, ich möchte mein Geschäft erledigen, und wieder nach Hause. Die einfache Strecke hat ungefähr 25 Kilometer. Wenn ich mich ran halte, schaffe ich sie in 4 Stunden. Zwei bis drei Stunden auf dem Markt, eine Fettsuppe und ein Glas Bier im Gasthof, aber nur, wenn das Geschäft gut gelaufen ist, dann wieder zurück, zuerst über die Leuscheid, jener Höhenzug, der die Obere Sieg vom Westerwald trennt, dann über die Nutsch. Es ist April, das Wetter wechselhaft, von Sonne bis Eisregen ist alles möglich – und hier stets so gut wie sicher. Wenn nichts dazwischen kommt, bin ich vor Anbruch der Dunkelheit wieder zuhause. Hoffentlich hat die Frau etwas Brennholz im Wald sammeln können, sonst werden Abend und Nacht wieder bitterkalt in unserer kleinen Kate, deren feuchte Kälte mir irgendwann den Todesstoß versetzen wird. An Rheuma und Gicht habe ich mich ja schon lange gewöhnt. Die Kleine jappst seit Tagen nach Luft, sie ist blass und schwach. Ich hoffe, sie ereilt nicht das Schicksal ihres drei Jahre alten Bruders, der letzes Frühjahr in meinen Armen starb, weil Schwindsucht seine letzen Kräfte raubte. Als ich zuletzt diesen Weg nach Weyerbusch auf mich nahm, in jenem eisigen Februar, dessen Frost mir den kleinen Zeh nahm, sah ich im letzten Moment – und bevor sie mich entdeckten – eine lauernde Ganovenbande, die darauf aus war, Handelsleute zu überfallen. So leise ich konnte stahl ich mich durchs Unterholz an ihnen vorbei und entkam dabei im letzten Moment einem Keiler, dem ich unbemerkt zu nahe getreten war. Josef, mein Schwager, wurde im letzten Mai von einer Wildsau angegriffen, die ihre Jungen schützen wollte. Ihre Reißzähne haben sich fast einen halben Meter von oberhalb des Knies bis hoch zur Hüfte durch sein Fleisch gebohrt und die Venen durchtrennt. Es dauerte keine vier Minuten und er war verblutet. So ein Leben ist nichts Großes. So schnell und unvermittelt, wie es geschenkt, ist es auch schon wieder genommen. Überleben als Ziel …

So in der Art sind meine Gedanken, dort oben in den Wäldern, die mir für ein paar Stunden ganz allein gehören. Bis ich dann ‘zufälligerweise’ mein Smartphone in der inneren Jackentasche spüre. Und begreife, wie nichtig und unwichtig so vieles ist. Im Grunde.

22.03.2014

Den rechten Mittelfinger habe ich mir heute zum zweiten Mal an der exakt gleichen Stelle sehr böse gequetscht, das Blut quoll unter dem eh schon auberginefarbenen Nagel nur so hervor und versaute sowohl meine Jeans als auch die Böden von Küche und Bad der alten Wohnung meines Bruders, dem ich gerade beim Umzug half.
Nicht die Tatsache, dass dies alles so geschah gibt mir zu denken, sondern die Frage, nach dem »warum« – bzw. dem, was ich möglicherweise durch die Massierung begreifen soll. Vielleicht ist es wirklich nur dummer Zufall gewesen. Vielleicht sollte ich aber endlich mal wieder von Sex reden.